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Trotzige Hommage an das Leben

 

Vor drei Jahren starb Esbjörn Svensson, einer der beliebtesten Jazzer Europas. Nun hat sein Freund und Schlagzeuger Magnus Öström die Trauer mit neuer Band verarbeitet.

Magnus Öström (2. v. r.) und seine Band (© Per Kristiansen)

Das Esbjörn Svensson Trio war das erfolgreichste Jazzensemble Europas. Esbjörn Svensson, Dan Berglund und Magnus Öström – e. s. t. – füllten Anfang des Jahrtausends Säle mit einem Publikum, dessen Altersdurchschnitt in Popnähe sank. Die Alben der 1993 gegründeten Band verkauften sich wie Knäckebrot. Als Grenzgänger zu Klassik, Pop und Folk, mit radikaler Gleichberechtigung im Trio und ihrem frischen, leicht versponnenen Sound erneuerten sie den skandinavischen Jazz. Dann lernte Pianist Esbjörn Svensson tauchen. 2008 verunglückte er zwischen den Schären vor Stockholm. Tödlich.

Leucocyte, das nach Svenssons Tod veröffentlichte letzte e.s.t.-Album, enthielt in seiner Mitte 60 stille Sekunden. Eine Atempause. Und weiter? Der Schlagzeuger Öström sagte, „eher gehe ich Bus- oder Taxifahren, als dass ich mich diesem sonst üblichen Jazz-Band-Hopping anschließe, das die meisten Musiker betreiben.“ Das Trio als Popband, immer mit denselben Leuten, war das Erfolgsprinzip von e. s. t. Öström und Berglund dachten über eine neue gemeinsame Band nach.

Doch es kam anders. Der Bassist Berglund beendete die Atempause als erster, scharte alte Kollegen und neue Freunde um sich und formte die Band Tonbruket, deren gleichnamiges Debüt 2010 zum schwedischen Jazzalbum des Jahres gewählt wurde.

Magnus Öström steht jetzt ganz allein auf dem Cover seines ersten Post-e.s.t.-Albums, Thread Of Life. Einsam, vom Gürtel aufwärts nackt, ein Becken unter den Arm geklemmt wie einen Rettungsring. Er kannte Svensson aus Kindertagen, Anfang der Siebziger in Västerås am Mälarsee in Mittelschweden.

Das Album erscheint unter Öströms Namen, er produziert und arrangiert, spielt außer Schlagzeug auch Keyboards, setzt Electronics und lautmalerischen Gesang ein. Dazu kommen Andreas Hourdakis, elektrische und akustische Gitarren, Gustaf Karlöf, Klavier und Keyboards und Thobias Gabrielson an E-Bass, Keyboards und Trompete, allesamt aus der Stockholmer Jazz-Szene.

Öström umklammert das Album mit einem Prelude, das meditativen Minimalismus und stille Kraft verbindet, und einer zweiteiligen, fast orchestral gipfelnden Hymne auf die Vergangenheit, Hymn (For The Past). Im Mittelpunkt, Nummer fünf und sechs von zehn Songs, stehen das Gewicht des Todes und der teure Verstorbene: Weight Of Death und Ballad For E. Zu Letzterem hat Öström sich Berglund eingeladen (auf dessen Album ein Song For E ist). Aber nicht nur: Den unersetzlichen Pianisten vertritt der Gitarrist Pat Metheny, der das sensible Stück auch arrangiert hat.

Durch das Album zieht sich als Leitmotiv der Puls, das Repetitive. Klänge, Muster, Rhythmen spielen eine wichtigere Rolle als Melodien – woraus man bei einem Schlagzeuger vielleicht nicht allzu viel lesen sollte, aber in Öströms musikbiografischem Kontext und unter dem bedeutungsschwangeren Albumtitel liegt der Gedanke an Herzschläge, an verrinnende Zeit nicht fern. Die Klanglinien mäandern aus dem Jazz weit in elektronische Gefilde, in die von Pop und Rock.

Thread Of Life, das ist der Faden des Lebens, ist die Energie, die alles am Leben erhält und auch mir die Inspiration für meine Musik gibt“, sagt Öström, „allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass es nur ein dünner Faden ist, der jederzeit durchtrennt werden kann.“ So ist das wohl zu verstehen, wenn sich aus Passagen sakraler Stille fast rockige Momente aufbäumen, sehnige Gitarren und gloriose Synthiesounds an Progrock-Passagen gemahnen: als trotzige Hommage an das Leben.

„Thread Of Life“ von Magnus Öström ist erschienen bei ACT. Magnus Öström spielt am 29. April in München und im Juli bei der Jazz Baltica in Salzau.