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Oper, Zirkus, großes Kino

 

So bunt war’s im Pop lange nicht: Gabby Young tschingderassabummt sich durch alle Genres. Wie eine punkaffine Jazzdiva mit Hang zum Varieté klingt? Anhören!

© World Connection

Ganz großes Tennis. Großes Kino. Große Oper (Gabby Young war mit zwölf Jahren das jüngste Mitglied aller Zeiten der britischen National Youth Opera). Großer Zirkus (in Großbritannien haben sie das Schubladenetikett Circus Swing für Gabby Young & Other Animals erfunden). Jedenfalls bunt.

Und auch noch großes Drama: Als Frau Young – 1984 in Bath in der Grafschaft Wiltshire geboren, als Kind Klavier, Geige und Saxofon ausprobiert, dann Singen gelernt – 22 Jahre alt war, erkrankte sie an Schilddrüsenkrebs. Die Chirurgen setzten das Skalpell ganz in der Nähe der Stimmbänder an. Die gerade mit Schlafzimmerdemotapes begonnene Karriere wäre beinahe zu Ende gewesen, bevor sie abheben konnte.

Aber alles wurde gut, Young erholte sich, nutzte die Rekonvaleszenz (Achtung, Promotion-Prosa:) „zum Schreiben neuer Melodien und zum Verarbeiten der schweren Zeit in sehr persönlichen Lyrics“. Aber das führt jetzt völlig in die Irre, denn es klingt nach schwermütigen Texten aus düsteren Tagen, dabei singt Gabby Young eher über ihre eigene Tollpatschigkeit (Umm …) oder einen miesepetrigen Freund (Lipsink). Naja, auch mal über innere Dämonen (Whose House) oder die Rätsel der eigenen Persönlichkeit (Maybe). Und dann ist da noch Too Young To Die, das tatsächlich die Krankheit thematisiert.

Dazu spielen die Animals auf allen Instrumenten, die gerade so zur Hand sind: Klavier und Gitarre, Kontrabass und Klarinette, Trompete und Posaune, Mandoline und Banjo, um nur eine Auswahl zu nennen. So kommt es zur Etikettierung Circus Swing: Es tschingderassabummt, als hätten die Clowns das Podest der Zirkuskapelle erobert und den Herren im Smoking die Instrumente geklaut. Da ist Balkanpfeffer drin und Hinterzimmerjazz, hoppeliger Ragtime und angeschlagener Big-Band-Sound, Bombast, Varieté und Vaudeville, Kabarett, Kirmes und Kalinka.

Young singt, wie sie aussieht, in Vintage-Korsagen und Rüschenröckchen, dank mitreisender Make-Up-Artistin und mit voluminöser knallroten Frisur, in die meist die Bestände eines mittelgroßen Nippesladens verwoben sind: wie eine punkaffine Jazzdiva, die vom Opernhaus träumt – oder umgekehrt. Sie croont und kiekst und koloriert über diverse Oktaven, wenn es denn sein muss, sie klingt aber auch dann noch gut, wenn sie ganz zurückhaltend stille Passagen intoniert. Wer war noch mal Kate Bush?

Dass man mit so einer Musik Erfolg haben kann, haben Gabby Young und ihre Animals schon bewiesen: Ihr Debütalbum We’re All In This Together kam zunächst auf dem bandeigenen Label Gift of the Gab Records heraus. Download-Erfolge und Festivalauftritte etwa in Glastonbury im Sommer 2010 brachten einen Plattenvertrag mit dem Label World Connection und eine Neuauflage des Albums, erst in Großbritannien und jetzt mit Verzögerung auch hier zu Lande.

Eines der Other Animals ist Gabby Youngs Freund Stephen Ellis, Sänger der britischen Band Revere – die auf ihrem Album Hey! Selim einen nicht unverwandten Sound pflegt, allerdings lauter, elektrischer und postrockiger. Auch nicht schlecht. Vor allem dann, wenn Gabby Young mal wieder als Gastsängerin dabei ist. Großes Kino. Oper. Zirkus.

„We’re All In This Together“ von Gabby Young & Other Animals ist erschienen bei World Connection/Edel kultur.

Gabby Young im Konzert: 25.5. Bremen, 26.5 Hamburg/Elbjazz, 8.7. Kassel, 9.7. Darmstadt, 20.8. Jena