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Kurt Cobain grüßt zurück

 

Die junge Erika M. Anderson alias EMA erinnert an die vergangenen Heiligen der Rockgitarre. Todessehnsucht mit 22 Jahren: Mehr Grunge geht nicht.

© Rough Trade

Gitarrenrock ist tot. Es lebe die Rockgitarre! Ausgerechnet eine Gitarrenzerstörerin ist angetreten, um die Rockgitarrenmusik wieder aufzurichten. Zwar nennt Erika M. Anderson sich selbst einen „Guitar Destroyer„, aber mitnichten zertrümmert sie ihr Instrument auf der Bühne, wie es etwa der verzweifelteste aller Grunge-Rocker, Kurt Cobain, getan hat. Erika M. Anderson liebt ihre Gitarre: Sie krault sie, bürstet sie, quält sie – mit Hingabe – und ringt ihr Töne ab, die eine lange vergessene Wucht entfalten.

Während sich immer wieder neue Klone von Gitarrenrockbands mit zackigen Songs durch die Nullerjahre tobten, hat Erika M. Anderson, mittlerweile EMA, die Langsamkeit entdeckt. Anstatt also Akkorde zu eingängigen Riffs zu montieren, dehnt sie die Töne, gibt ihnen Raum, damit sie sich im Hall majestätisch entfalten. Derartige Experimente etablierte sie bereits, als sie noch in Noise-Folk Bands wie Amps For Christ oder Gowns spielte. Auf ihrem Solodebüt klingt das nun deutlicher, mächtiger: mal wie die Nachwehen eines nicht enden wollenden Donners, mal aber auch wie eine sanfte Sirene.

Vielleicht ist das eine treffende Umschreibung für die 28-Jährige selbst: eine sanfte Sirene. Denn während die Musik der neun Stücke ihres Debütalbums Past Life Martyred Saints eine düstere, mitunter unheilvolle Stimmung hervorrufen, enthebt ihre farbenreiche, variable Stimme die Lieder immer wieder dieser Unterweltsphäre. Mit dem Beschwörungsduktus einer Patti Smith röhrt sie sich durch Milkman und klingt im Refrain wie Garbage in ihren besten Mainstream-Rock-Zeiten. Bis an die Grenzen der Heiserkeit hauchend laviert sich EMA durch Marked, eine schwermütige Trennungsballade, in der die Stimme gegen Ende zu engelhafter Klarheit findet.

Auf diesem Album kommt zusammen, was nicht zusammen gehört: Folkstücke folgen auf Noise-Balladen, und Powerpop-Hymnen schmiegen sich an windschiefe A-cappella-Gesänge: Die Pforte zur Referenzhölle steht weit offen. Am auffälligsten vielleicht in Anteroom, das wie eine verschwundene Aufnahme von Nirvanas MTV-Unplugged-Session klingt – nur eben mit weiblichem Gesang.

Am deutlichsten zitiert die aus South Dakota stammende Musikerin den amerikanisch verwurzelten Grunge. Nicht nur, wenn sie im grob karierten Holzfällerhemd die Bühne besteigt – es ist viel mehr die Haltung, die sie mitbringt: Wenn sie etwa stoisch unter der nasenlangen Ponyfrisur hervor singt oder die Gitarre über den Kopf hebt, um eines ihrer geliebten Feedbackgeräusche noch ein wenig durch den Raum mäandern zu lassen. Fuck California, you make me boring singt sie ihrer Wahlheimat – mit 18 zog sie nach Los Angeles – eine bittersüße Ode. Und zu zäh fließenden Gitarren und harten Synthie-Peitschen formuliert sie den programmatischen Satz: „I’m 22, I don’t mind dying„.

Vor allem den ehemals Langhaarigen, den Bikerboots-Trägern und Armbändchen-Sammlern, die in den Neunzigern erwachsen gewordenen sind, dürfte das bekannt vorkommen: Die gefühlte Verzweiflung, die etablierte Verweigerungshaltung und die destruktive Handlungsbereitschaft einer ganzen Generation klingen hier durchs jugendliche Nihilisten-Pathos. Mehr Grunge geht nicht.

Und dennoch ist Past Life Martyred Saints keine Wiederauflage dessen, sondern auch lichtdurchfluteter Riot-Pop mit zarten und kräftigen Momenten. Der gemeine Gitarrenrock hat sich im vergangenen Jahrzehnt vieler modischer Hipster-Insignien bedient, und auch um EMAs Hals baumelt eine fancy Kette mit den drei großen Lettern ihres Namens. Subversiv geht zwar anders, aber wer nicht auffällt, geht unter.

Und subversiven Gitarrenrock – gibt es den überhaupt noch? Vielleicht schickt EMA deshalb auf dem Cover ihres Albums Grüße in die Vergangenheit – und segnet die gemarterten Heiligen aus einem vorigen Leben. Vielleicht würde Kurt Cobain sogar zurück grüßen.

„Past Life Martyred Saints“ von EMA ist erschienen bei Souterrain Transmissions/Rough Trade.