Diese Musiker waren im Trainingscamp für libysche Rebellen und zogen später für die Tuareg in den Kampf. Auf ihrem neuen Album besingen Tinariwen die Schönheit der Dürre.
Weltmusik ist zum Schimpfwort geworden. Zahme Exoten musizieren da, heißt es, die sich für Geld von weißen Produzenten an der Kette in die Manege führen lassen. Oder fett gewordene Veteranen, die mehr Zeit auf den Bühnen von London und Paris verbringen als in heimischen Slums – auch nicht recht; die Musik soll authentisch sein, was auch immer das ist.
Tinariwen passen so recht in keines dieser Klischees. Die Band hat ihren Sitz in Mali, wie die berühmten Kollegen Ali Farka Touré, Salif Keïta oder Toumani Diabaté. Aber die Musiker von Tinariwen sind Tuareg: staatenlose Nomaden, vor allem in Mali, Niger und Algerien mit ihren Herden und Handelskarawanen unterwegs, heute auch zu Tausenden sesshaft geworden in den Städten am Rand der Sahara und der Sahel.
Anfang der achtziger Jahre spielten Ibrahim, Abdallah, Hassan, „Japonais“ (Der Japaner) und Kheddou schon zusammen bei Hochzeiten, Taufen und Feten in der Region von Tamanrasset im südlichen Algerien. Dann besuchten sie in Libyen gemeinsam ein Trainingscamp für Rebellen. Als in Mali und Niger der Tuareg-Aufstand ausbrach, zogen sie in den bewaffneten Kampf. Zugleich verbreitet sich ihre Musik auf Kassetten über das Aufstandsgebiet in der Südsahara.
Nach dem Friedensschluss Mitte der Neunziger wurden Tinariwen zur Stimme jener Tuareg, die vor Regierungswillkür und Dürre ins meist nordafrikanische Exil flohen. Der lose Musikerverband brachte eine professionelle Band hervor, die bei Festivals in Belfort, Glastonbury und Coachella (Kalifornien) auftrat. Beim Montreux Jazz Festival 2006 spielten sie mit Carlos Santana, ihre Alben Aman Iman (2007) und Imidiwan (2009) wurden hoch gelobt. Der Desert Blues kam in Mode.
Heute schüren jüngere Kämpfer neue Unruhen, Nachwuchsbands wie Tamikrest übernehmen auf dem musikalischen Feld. Tinariwen konnten ihr jüngstes Album nicht wie sonst in Tessalit im nördlichen Mali aufnehmen: Zu gefährlich ist die Gegend geworden. Also zogen Band, Techniker und Gastmusiker samt 400 Kilogramm an Ausrüstung in die Wüste im südlichen Algerien, eine alte Rückzugsregion der Tuareg.
Gegen Windgeräusche, den Lärm der Generatoren und Sand in der Elektronik ankämpfend, nahmen Tinariwen in einem Zelt ein reduziertes Album auf, mit akustischen Klampfen statt der typischen E-Gitarren, mit rhythmischem Klatschen als zentralem Percussion-Element. Frauenstimmen fehlen diesmal völlig, die Männer murmeln, flüstern und chanten vom harten Leben der Nomaden, Einsamkeit und „Assouf„, einer ins Spirituelle überhöhten Sehnsucht, aber auch von turbulenten Liebesgeschichten und schlichten Alltagsereignissen.
Walla Illa ist ein wundervolles Schlaflied, Tameyawt dominiert eine eigenwillig komplexe Gitarre, und die Liebeserklärung an die Wüste in Tenéré Taqqim Tossam ist durchzogen von Respekt vor der Schönheit der wasserlosen Landschaft. Repetitive Strukturen verleihen den Songs ihren hypnotischen Charakter.
Erstaunlich ist, wie sich die Gäste ins Ganze fügen: Nels Cline, Gitarrist von Wilco, Tunde Adebimpe von der New Yorker Band TV On The Radio und die Dirty Dozen Brass Band aus New Orleans weben sich unaufdringlich in die Songs, bereichern sie, ohne zu dominieren. Alternative Country, Post-Punk-Indie und modernisierter Marching-Band-Sound beugen sich einer Hand voll edler Wüstensöhne, wie Karl May sagen würde. Es ist an der Zeit, das eine oder andere Weltmusik-Klischee zu überdenken.
„Tassili“ von Tinariwen ist erschienen bei Cooperative Music/Universal.
Tinariwen spielen am 6. September in Hamburg in der Fabrik, am 6. Oktober in der Philharmonie in Köln und am 21. Oktober im Berliner Kesselhaus.