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Schmeichelnde Großstadtfrauen

 

Noch eine deutsche Band, die englischen Pop macht! Und doch eine Überraschung: Die sanften Lieder des Damenduos Boy ragen hörbar aus dem Dudelfunkstrom heraus.

© Benedikt Schnermann

Wer englischen Songwriterpop in Deutschland macht, sollte sich der Fallstricke bewusst sein: Man treibt auf einem Meer aus Gleichgesinnten; wem sonst nicht allzu viel einfällt, schnappt sich schließlich gern Rhythmusgitarre, E-Bass, Schlagzeug, ein bis zwei hübsche Frauengesichter davor mit ein bis zwei hübschen Stimmen dahinter und verrührt das Ganze zu einer geschmeidigen Melange, die noch der stromlinienförmigste Dudelfunk ungefragt spielen würde.

Das deutsch-schweizerische Songwriterpopduo Boy liefert so eine Melange, die zwei Frauengesichter davor sehen supersüß aus, alles passt, nichts verkantet, nichts stört. Friede-Freude-Autoradio. Dabei könnte man es belassen, wenn ihr Debütalbum Mutual Friends so durchläuft; das Gefühl harmlosen Einlullens bleibt haften, nett, aber leicht durchlässig. „This is the beginning„, singen Sonja Glass und Valeska Steiner gleich zum Auftakt engelsgleich, und wenn sie ihr Startangebot „of anything you want“ festlegen, entsteht keine Aura des Aufbegehrens. Es sei denn, man hört nochmal genauer hin.

Denn nach und nach schaffen es die zwei jungen Damen, doch aus dem rappelvollen Genre herauszuragen. Nicht deutlich, aber sichtbar. Nicht wegen ihrer akzentfreien Aussprache, aber auch. Nicht Lied für Lied, aber peu à peu. Waitress, das Stück über eine Kellnerin in der Warteschleife eines aufregenderen Lebens, Little Numbers mit dieser lässigen Klavierlinie unterm treibenden Schlagzeug des Gast-Schlagzeugers Thomas Hedlung (Phoenix), oder Drive Darling, Valeskas melancholischer Abschiedsgesang aus der Zürcher Heimat zu ihrer Freundin in Hamburg, dessen anschwellende Gitarre von Zuversicht kündet – Boy mögen gefälliger, weicher, einschmeichelnder klingen, als man es von emanzipierten Großstadtfrauen von heute erwartet. Aber was erwartet man auch alles von denen?

Mütterlichkeit und Gendercrossing, Familiensinn und Karrieredenken, Empathie und Härte, die weiblichen Seiten des Männlichen und umgekehrt. Multitaskingtauglichkeit jedenfalls, allesineinemseinmüssen. Da machen Sonja und Valeska offenbar nicht mit. Sie geben sich verspielt, verträumt, emotional, bezaubernd. Und weil das nun mal nicht zwingend Rückschlüsse auf die Menschen hinter der Musik erlaubt, sollte man sie einfach mal wirken lassen. Denn das kann man Mutual Friends – genießen. Es ist Genussmusik, keine Problemmusik, keine Ausbruchsmusik, nicht mal bewusst moderne.

Im großen Haus zeitgenössischer Klänge ertönt sie auf einer der unteren Etagen, Abteilung sanfter Pop, Buchstabe E wie Easy Listening, wo es eilige Regalbefüller schon mal einordnen könnten. Das passiert, trifft es aber nicht ganz. Denn Boy nehmen in der Horizontalen durchaus Haltung an, drücken den Rücken durch, liefern eine Sorte Songwriting, die partout nicht aus dem Kopf will, ob mit dem angeschrägten Boris oder dem schnurgeraden Oh Boy. Und wenn zum Schluss etwas Posaunenartiges unter ihr Duett fließt, versöhnt sich Pop mit Jazz und Schlager und Country, und es ist einfach schön. Fordern tut das Leben schon genug.

„Mutual Friends“ von Boy ist erschienen bei Grönland/Rough Trade.