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Noise und Wohlklang, Jazz und Rock

 

Skandinavischer Jazz sucht gern die Nähe zum Pop. Auf seinem neuen Album klingt der Trompeter Nils Petter Molvaer so kontrastreich wie lange nicht mehr.

© Morten Andersen

Wie der erste Satz eines Romans, der die DNA des ganzen entstehenden Textkörpers in sich trägt, lässt sich auch Mercury Heart hören, das Stück, mit dem Nils Petter Molvær sein neues Album Baboon Moon beginnen lässt. Ein unbestimmter, tiefer Klang, der sich zwischen den Wänden eines Gefäßes hin und her bewegt. Einige kurze Formeln auf der Trompete, dazu ein pumpender Drone, der indische Assoziationen hervorruft und in einer Echoschleife den harmonischen Raum bestimmt. Eine träge Folge von Basstönen, schließlich die Öffnung des Raums in die Euphorie eines schleppenden Beats, der von schwer verzerrten Gitarrenakkorden ins Weite geschoben wird. Nils Petter Molvær dokumentiert einen neuen Aufbruch: So entschlossen, so vital und kontrastreich wie auf Baboon Moon hat seine Musik schon lange nicht mehr geklungen.

Nils Petter Molvær ist ein Musiker zwischen den Stühlen. Aufgewachsen im einsamen Norden Norwegens, faszinierte ihn schon früh die zurückhaltende Phrasierung von Miles Davis ebenso sehr wie dessen Entschlossenheit, die konventionellen Grenzen zwischen Jazz und Rock einzureißen. Nach dem Studium an der Musikhochschule Trondheim wurde Molvær zu einer festen Größe in der vor Lust an Vermischungen und Experimenten brodelnden Szene Oslos: Von Popproduktionen im Studio über Projekte im Bereich der neuen komponierten Musik bis zu frei improvisierten Sessions reichte das Spektrum seiner Aktivitäten.

Im Oktober 1997 machte ihn die Veröffentlichung seines Albums Khmer auch einem größeren Publikum bekannt: So schlüssig und mitreißend wie seine Band hatte noch keiner versucht, die Gräben zwischen der Zerbrechlichkeit der Improvisation und der Wucht zeitgenössischer, von elektronischen Rhythmen getriebener Tanzbarkeit zu überbrücken. Khmer war ein Riesenschritt und das Ergebnis einer aufwendigen Bastelarbeit: Monate hatte Molvær mit der modernen Dreifaltigkeit von Sampler, Sequencer und Digitalecho in seinem Studio verbracht, hatte Spuren zurecht geschliffen und miteinander ins Schwingen gebracht und seiner Musik eine Basis geschaffen, auf der die Improvisation neue Welten erkundet.

Vierzehn Jahre ist das her, und seitdem hat sich dieses techniklastige Konzept ein wenig abgenutzt. Mit Baboon Moon schiebt Molvær die Bastelarbeit in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die Magie, die Freude am Zusammenspiel, die schon in den Kinderzeiten von Pop und Jazz den Unterschied zwischen einer „Band“ und einer Zusammenstellung zwar spielerisch kompetenter aber ansonsten nicht tiefer verwickelter Lohnmusiker ausmacht.

Nur drei Pole hat Molværs neue Band, doch die reichen, die Musik unter Spannung zu setzen. Da ist einmal der unverkennbare Ton von Molvær auf der Trompete, reich behängt mit Echo und Harmonizereffekten oder auch einmal gänzlich unverschleiert mit diesen typischen Phrasen, die die Dualität von Dur und Moll ebenso meiden wie die Schlüsselreize, nach denen man die Musik sonst in die stilistischen Kästlein einzusortieren gewohnt ist. Da ist zum Zweiten Stian Westerhus, der Gitarrist der Stunde, ein aufgeklärter Revoluzzer des Jazz, der die Etüden von Jazz und Rock und all ihrer Hybriden weit hinter sich gelassen hat und irgendwo zwischen den Soundwänden der Sex Pistols und der Raffinesse eines Jim Hall seine Zelte aufschlägt. Erland Dahlen schließlich, in Indierock-Kreisen als Schlagzeuger von Madrugada bekannt, gibt dem Ganzen eine verbindliche rhythmische Grundlage, die gleichzeitig konkret ist und offen, dringlich und relaxed.

Noise und Wohlklang, Natur und Elektronik, Tradition und Moderne – es ist eine große Erzählung, die Nils Petter Molvær mit Baboon Moon vorlegt, der Aufbruch in eine neue Unabhängigkeit.

„Baboon Moon“ von Nils Petter Molvær ist erschienen bei Columbia/Sony.