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Tanzen unter Einfluss von Aufputschmitteln

 

Awolnation, was soll das heißen? Nehmen die Drogen? Der Amerikaner Aaron Bruno und sein hyperaktives Pop-Projekt sind auf dem Kreuzzug durchs Internet.

© Red Bull Records

Fangen wir mal mit der Musik an – das ökonomische, optische und digitale Drumrum kommt später. Also: Außerirdische haben den unehelichen Sohn von David Bowie und Jerry Lee Lewis entführt, ihm einen Starkstrom-Synthie unter die Pfoten geschoben und ein paar Durchgeknallte vom Planeten der Punks zur Seite gestellt. Awolnation feiern in einer heruntergekommenen mallorquinischen Eurotrash-Disko eine retrofuturistische Indietechno-Rock’n’Roll-Party. Oder so.

Die packende Musik, bei der die bombastische Produktion tatsächlich mal künstlerisch funktioniert, kommt von Aaron Bruno. Dessen Band Under The Influence Of Giants hatte mit ihrem Debütalbum auf Island Records 2006 einigen Erfolg, geriet dann aber in die Turbulenzen der Major-Label-Industrie, die renditeschwache Bands en masse ausmusterte. Die wirtschaftliche Basis fürs nächste Album war weg.

Bruno schrieb Songs für andere, jobbte – und entdeckte dann eine Mappe mit alten Songideen. Er beschloss, ein neues Projekt zu starten. Red Bull Records nahmen ihn unter Vertrag, ein junges kalifornisches Kleinlabel mit großer Potenz dank der Unterstützung des gleichnamigen Koffeinpappgesöffkonzerns aus Fuschl am See (Österreich). Die wirtschaftliche Basis war wieder da.

AWOL ist die Abkürzung für „Absent Without Leave„, unentschuldigt fehlend – angeblich Brunos High-School-Spitzname. AWOL Nation, eine ganze Nation soll schwänzen: Die Attitüde hat Bruno sich aus der High-School-Zeit bewahrt. Der Name stehe „für die Flucht aus dem Alltag oder eine Feier der Liebe und des Glücks“, sagte er dem Rolling Stone. Awolnation sei „eine musikalische Droge – so könnte man es auch sehen“.

Drogen? Ach was. Im Video zur Single Burn It Down wirft ein Gericht Bruno vor, er habe eine „guilty, filthy soul„, eine schuldige, schmutzige Seele. Der Angeklagte schnappt sich das Mikro und ruft alle auf, um ihr Leben zu rennen, als seien sie auf dem Dancefloor. Mit Strahlenfingern transmogrifiert er Sicherheitsleute in Astronauten, Geschworene in Ninjas und die Stenografin in eine Meerjungfrau. Drogen?

Diese und ähnliche Figuren tauchen immer wieder auf in den Außerirdischen-Videos, gefaketen Tiefsee-Dokumentarstreifen und anderen Kurzfilmen, zum Teil in Rot-Grün-3D, mit denen Awolnation viral die Webseiten der Welt bewimmelt. Nicht nur optisch gründelt Bruno dabei in der Vergangenheit, auch die Akustik hat viel von späten achziger, frühen neunziger Jahren. Wenn es, wie in Sail, gar zu melodisch-meditativ zu werden droht, zu streicherig und glamrockig, schlagen heisere Schreie und Technobratz-Akkorde dem Pop Macken in die Krone.

Das junge, hyperaktive, irgendwie rebellische Image von Red Bull prägt das Marketing auch für Awolnation: Sail läuft als Soundtrack zu Extremspringer-Videos, und laut Label-Lingo ist das Debütalbum Megalithic Symphony „nicht einfach Musik, sondern ein Kreuzzug im Kampf gegen alles, was fake ist, kommerziell, kompromittiert und verdorben in populärer Kultur“.

Unkommerziell? Nur, weil ein Song wie Knights Of Shame knapp 15 Minuten dauern darf, während der Titelsong nicht mal eine Minute füllt? Quatsch. Aber dank Webwerbung, einer EP im vergangenen Jahr, diverser Konzerte und des in den USA schon im März erschienenen Albums ist Awolnation immerhin nicht mehr ganz unbekannt. Ein Kreuzzug? Kann noch werden.

„Megalithic Symphony“ von Awolnation ist erschienen bei Red Bull Records.