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Herzen in Bruchgefahr

 

Der verlorene Soundtrack zu „Ferris macht blau“: Summer Camp aus London kramen tief in den Achtzigern und bringen einen schizophrenen Retro-Pop hervor.

© Moshi Moshi

Bisher kommt keine Besprechung von Summer Camp um den Namen John Hughes herum – warum sollte diese es tun? Der Mann hat die Pubertät heutiger Thirtysomethings maßgeblich beeinflusst mit Filmen wie The Breakfast Club oder Ferris macht blau. Einige Songs von Summer Camp beginnen mit Zitaten aus seinen Filmen. Die bräuchte es gar nicht, um die Musik des Duos tief in den achtziger Jahren zu verorten.

Retro mit einem Schuss Schizophrenie: So klingen Summer Camp alias Jeremy Warmsley und Elizabeth Sankey (sie singt, er spielt diverse Instrumente und singt auch). So sehen sie auch aus, oder besser das, was sie an gelbstichigen Fotos und Videos von Menschen mit hässlichen Frisuren so verbreiten.

Summer Camp fingen mit einer gefälschten MySpace-Seite an, auf der sie sich als Septett aus Schweden ausgaben, das sich mit 14 im Ferienlager kennengelernt habe. Auch jetzt noch führt manche Besprechung sie als „kalifornische Kleinstädter“, dabei ist Condale lediglich Fiktion, eine Hommage an die ebenfalls virtuelle Stadt Shermer, in der etliche Hughes-Filme spielen.

Summer Camp kommen aus London – aber wer würde da schon ein Sommerlager buchen? An einem kalten Oktoberwochenende anno 2009 haben Warmsley und Sankey ihre ersten Songs aufgenommen, schreiben sie. Nach etlichen Online-Tracks und einigem Webhype kam es zu
Single, EP und nun zum selbstverwalteten Debütalbum beim Label Moshi Moshi.

Und das funktioniert wie ein Teenie-Film, wie eine dieser John-Hughes-Sagas mit der als Brat Pack bekannt gewordenen Schauspielerclique um Molly Ringwald, Emilio Estevez und die junge Demi Moore. Ständig sind Herzen in Bruchgefahr; Geisterzüge voller Loser und Liebeskranker, Cheerleader und Außenseiter rollen sepiabraun durch kaleidoskopische Träume vom Ausbruch aus der Kleinstadt in die große weite Welt.

Das ließe sich als retromanisches Futter für Menschen abtun, die sich nicht mehr an Pickel und Peinlichkeiten ihrer Pubertät erinnern. Aber unter dem goldenen Schimmer der nostalgisch gefilterten Erinnerung liegen andere, dunklere Farben, die dem Bild eine Tiefe geben. Als Produzent verantwortlich für den Sound ist Steve Mackey, sonst Bassist bei Pulp.

Ein so harmlos betiteltes Lied wie I Want You erschreckt zu schaudernden Synthesizern mit gefährlich obsessiven Zeilen: „Wenn ich könnte, würde ich deine Hand so fest drücken, das jedes Gelenk kracht / ich würde meine Arme um Dich legen und jeden Knochen in Deinem Rücken brechen“. Und Losing My Mind verbindet den lichten Mitpfeifrefrain mit der zeitlosen Düsternis verflossener Liebe. Die Sonne im Bandnamen, die synthesizerseligen Tastentakte, das schunkelige Schlagzeug und der euphorische Gesang stehen in einem künstlerisch fruchtbaren Spannungsverhältnis zu Herzschmerzthemen und adoleszenten Abgründen.

Das Duo verortet seine Figuren in verschiedenen Jahrzehnten in der Geschichte von Condale, Figuren wie die 16-jährigen Cathy, die unsterblich in den Sänger der örtlichen Band The Alleycats verliebt ist, oder Louis Sley, Bürgermeister des Jahres 1954, der eine Affäre mit Bebe West beginnt, einem tragischen Starlet. Aber trotz musikalischer Reminiszenzen an andere Epochen und moderner Produktionstechnik klingen die 14 Songs auf Welcome to Condale vom Eröffnungsstück Better Off Without You bis zum Schlussstück 1988 nach den ewigen Achtzigern. Samt Schattenseiten.


„Welcome To Condale“ von Summer Camp ist erschienen bei Moshi Moshi/Rough Trade.

Ihr derzeit einziges geplantes Konzert in Deutschland spielen Summer Camp am 25. November im Berliner Levee Club.