Nicht nur die Inuit kennen viele Wörter für gefrorenen Regen. „50 Words For Snow“ findet auch Kate Bush. Ihr neues Album ist wildes Schneetreiben.
Harsch. Sulz. Griesel. Firn. Neu- und Alt-, Papp-, Feucht- und Pulverschnee. Das sind ein paar der Wörter für Schnee, die wir im Deutschen haben. Die Inuit (also Eskimos) kennen auch nicht wirklich mehr, nur dass in ihren Sprachen oft selbst so komplexe Wendungen wie „pulveriger Schnee, der bei leichtem Ostwind auf ein rotes T-Shirt fällt“ zu einem Wort montiert werden, das aber nur in diesem Moment ein Wort ist und nie den Weg in ein Lexikon findet.
Madonna. Lady Gaga. Rihanna. Pink. Das sind ein paar der Superdiven der Popmusik, die wir heute so haben. Ihre heimliche Königin aber ist Kate Bush. Was man schon daran erkennt, dass sie sich auch mal royale zwölf Jahre Zeit lassen kann zwischen zwei Alben (The Red Shoes, 1993; Aerial, 2005). Und spart man Director’s Cut aus, das in diesem Frühjahr erschienene Album mit neuen Versionen von Liedern aus den Erfolgsalben The Sensual World (1989) und The Red Shoes, hat Bush auch jetzt schon wieder sechs Jahre lang kein neues Material vorgelegt.
In den Neunzigern brauchte Bush die Zeit, um ihren Sohn zur Welt zu bringen und ihn soweit hinzubiegen, dass er jetzt mit ihr singen kann. Diesmal war es ein künstlerischer Wandel, mit dem die Musikerin schwanger ging. Die erste Veränderung, schon auf Director’s Cut aufgefallen, ist die neue Stimme: Schluss mit kindlichem Kieksen, das Alter (das einer Dame nennt man ja nicht, aber Kate Bush geht ganz cool damit um, dass sie 53 ist) macht auch vor den Stimmbändern nicht halt und zwingt in tiefere Lagen.
Es mag 50 Wörter für Schnee geben, aber es sind nur sieben Songs auf dem Album – sieben teils sehr lange (manchmal zu lange) Songs. Und sie handeln wirklich alle von unterschiedlichen Aspekten des Schneefalls. In dieser strengen, kargen Winterlandschaft friert Bush sich sämtliche Manierismen ab und malt mit spärlichen Linien klare, reduzierte Klangbilder, ohne Rücksicht auf poptypische Songstrukturen.
Hochpoetisch ist das, aber nicht ohne Witz. Im Titelstück variiert der britische Autor und Schauspieler Stephen Fry als Dr. Joseph Yupik (Yupik ist eine Inuit-Sprache mit immerhin rund 24 gängigen Wörtern für das weiße Zeug) ebenso fantasie- wie klangvolle Schneebegriffe, von „whirlissimo“ bis „boomerangablanca„. Dreizehneinhalb Minuten lang träumt Bush in Misty tragikomisch von einer heißen Affäre mit einem Schneemann. Und die ungebrochene Jungenstimme von Bushs 13-jährigem Sohn Albert McIntosh besingt in Snowflake, dass wir vor lauter Weltenlärm das Fallen der Kristallkonstrukte kaum noch wahrnehmen.
Mit ihrem Flügel, dem oft minimalistischem Schlagzeug von Steve Gadd, der Gitarre ihres Lebenspartners Dan McIntosh und auch sonst weitgehend akustischem Instrumentarium hüllt Kate Bush ihre winterlichen Themen in ein elegisches, teils jazzafines Gewand. Heftige orchestrale Seitenwinde und gelegentliche elektronische Effektbrisen verwehen den Pulverschnee. Selbst ein Duett mit Elton John, die lyrische Zeitreise Snowed In At Wheeler Street, gerät völlig unschwülstig. In der elfminütigen Kurzoper Lake Tahoe sind der Countertenor Stefan Roberts und die Fernseh-Doku-Stimme des BBC-Historikers Michael Wood zu Gast.
Vielschichtig wie ein mehrjähriges Firnbrett, manchmal skurril wie windgefräste Schneeskulpturen: Kate Bush hat ein Album aufgenommen, für das man sich warm anziehen muss – dann aber eine vielgestalte Winterwunderwelt bestaunt.
„50 Words For Snow“ von Kate Bush ist erschienen bei Fish People/EMI.