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Hits vom anderen Ende der Welt

 

Ein Australier erobert Europa: Gotyes hochpostneomoderner Pop verbindet die Fäden, aus denen der Zeitgeist sich gerade sein Nervenkostüm strickt.

© James Bryans

Vor ein paar Tagen hat Wouter DeBacker getwittert, er sei von Simon Reynolds‘ Buch Retromania gefesselt. Das überrascht niemanden, der die Musik kennt, die er unter dem Namen Gotye macht: altersloser Pop zwischen Vergangenheit und Hochpostneomoderne, eingängig und tüftelig, poetisch und vielseitig.

„Gore-ti-yeah“ möge man ihn aussprechen, sagt Gotye, wie Gauthier, die wallonische Variante seines flämischen Namens: Wouter, zu Deutsch Walter – oder auch Wally, wie sie ihn in Australien nennen. Wouter DeBacker, 1980 in Brügge geboren, zwei Jahre später von auswandernden Eltern aus dem schwer regierbaren Land links oben in Europa nach Melbourne rechts unten auf dem Kängurukontinent verschleppt.

Gotye landete im Dezember 2011 mit Somebody That I Used To Know einen Überraschungshit. Jetzt ist das Album dazu da, Making Mirrors, sein viertes. Es könnte Gotye vom rein australischen zum weltweiten Popstar machen. Denn der Belgoaustralier verbindet viele der Fäden, aus denen der Zeitgeist sich gerade sein Nervenkostüm strickt. Seine Eltern liebten Folk und Klassik, Wouter stand als Teenager auf Rave und Indiepop, den er an den Drums der Band The Basics immer noch spielt, später auch auf Grunge. Dann bekam er einen Computer und begann zu sampeln.

Gotye, 2007 „Best Male Artist“ der australischen Indie-Szene, sickert langsam ins internationale Bewusstsein. Drew Barrymore setzt seine Musik in Soundtracks ein, Katy Perry lässt sie vor ihren Konzerten aus den Boxen quellen. Dass er und die neuseeländische Duettpartnerin Kimbra im Video zu Somebody That I Used To Know unbekleidet auftreten, dürfte die Zahl der Downloads befeuert haben.

Wie überhaupt die einfallsreichen Clips – von Comic bis Computeranimation – sicherlich dazu beitragen, dass zehn von vierzehn Europakonzerten im Februar jetzt schon ausverkauft sind.

Für die neuen zwölf Songs hat DeBacker sich fast zweieinhalb Jahre Zeit gelassen und aus der urbanen Hektik Melbournes zurückgezogen in eine Scheune seiner Eltern auf der idyllischen Mornington-Halbinsel. Bisher benutzte er fast nur Samples, aus der Vinylsammlung der Nachbarn, von seiner gebrauchten 100-Dollar-Lowrey-Cotillion-Orgel, von der Klanginstallation Winton Musical Fence, von Tiergeräuschen und von akustischen Instrumenten aus aller Welt. Für Making Mirrors griff er nun auch in Klaviertasten und entstaubte sein altes Drumkit.

Wichtigstes Stilmerkmal von Gotye ist seine Vielseitigkeit. Seine Singstimme klingt ein bisschen nach einem Sting, der sich die Kanten noch nicht im Strom des Erfolgs rundgeschliffen hat. Seine Arrangements mit ihren muskulösen Drums haben etwas von Phil Collins zu seinen besseren Zeiten oder von Becks detaildichten Post-Pop-Collagen.

Gotye haut aber auch mal eine selbstironische Dub-Reggae-Nummer mit komplett verfremdeter Stimme raus wie State Of The Art, dunkelt für das triphoppige Smoke And Mirrors die Soundkarte ab oder macht für I Feel Better einen auf Motown.

Er will seine Arbeitsweise verändern, sagt Gotye, wegkommen vom Samplepuzzle, hin zu traditionelleren Formen des Songwritings. Übertreiben sollte er es damit nicht: Seine Songs beziehen ihren Zauber gerade aus der Verbindung von Bastelarbeit und übergreifender Struktur, aus Popmuster und Konventionsbruch im Detail.

„Making Mirrors“ von Gotye ist erschienen bei Vertigo/Universal.