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Prinz Antifolk

 

Ein Einsamer singt um Schutz: Mike Hadreas verarbeitet das Trauma des alleingelassenen Großstadtkindes. Sein zweites Album steckt voller Größe und Finsternis.

© Matador

Mit dem Satz „Ich finde über den Umweg des Übels mein Glück“ hat der junge Amerikaner Mike Hadreas einmal indirekt jenen bitter schmeckenden Quell benannt, aus dem er seit Erscheinen seines fabelhaften Debütalbums Learning 2010 seine finster-faszinierenden Klangperlen schöpft: das Unglück des einst alleingelassenen New-York-Kids, das sich seine Einsamkeiten mit dem Klimpern auf dem mütterlichen Klavier versüßt.

Denn tatsächlich muten die zweiundzwanzig herzzerreißenden, bislang von dem Youngster mit dem unschuldigen Schuljungengesicht vorliegenden Lieder an wie eine einzige große Schmerzenselegie. Lieder, deren weltentrückter Gestus mal an den reduzierten Neil Young des glorreichen 72-er Albums Harvest erinnern, mal an die Veilchenduft und schweres Altfrauenparfüm atmende Stimmung früher Rufus-Wainwright-Stücke.

Da genügt bereits sein cowboysaloonhaftes, von spärlich hingestreuten Synthesizerklängen grundiertes Klavierspiel, um jene hallende Kathedralenstimmung zu erzeugen, in der Hadreas seine poetischen Anrufungen zelebriert. Denn Hadreas, der unter dem Namen Perfume Genius seine traurig-schönen Klagelieder über das schmerzvolle Warten auf Erlösung aus den pubertären Delirien hinaussingt in eine kalte Welt, ist offenbar ein großer Einsamer; einer, der sich mit seinen Liedern zurücksingt in eine einstmals als heil empfundene Kinderwelt, in der sich noch schützende Arme um die kleine wunde Kinderseele legten.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Video zu seinem Stück Hood, in dem sich Hadreas willig der Fürsorge eines ihn zärtlich auf dem Arm haltenden und später mit der Bürste durchs Haar fahrenden Muskelmannes hingibt, wie die bildgewordene Wunschvorstellung eines nach Schutz und Zuneigung hungernden großen Jungen.

Hadreas, dessen feines Debüt Learning noch der Suche eines geborenen Geschichtenerzählers nach einer adäquaten Ausdrucksform glich, ist offenbar schon mit dem zweiten, jetzt erschienenen Album Put Your Back In 2 IT ganz bei sich angekommen. Denn mit gerademal 28 scheinbar bereits durch sämtliche Fegefeuer menschlichen Seins und Fühlens gegangen, bereitet Hadreas sein spürbar autobiografisch grundiertes Klangmaterial dementsprechend auf: als poetische Meditationen über unerfüllte Liebe, Sex und den am Ende aller Wege wartenden Tod.

Grundiert wird das Ganze von einer geradezu exquisit inszenierten Melancholie, die fern jeder Larmoyanz liegt. Dass die von Hadreas musikalisch dargebotene Schwermut dabei durchweg hell bleibt, liegt an der Strahlkraft seiner Stimme, die sich immer neu über den finsteren Klanggebilden erhebt wie die Morgensonne über Seattle, der Wahlheimat des 1984 geborenen New Yorkers.

Es sind 13 Lieder voller Anmut und Schönheit, die Put Your Back In 2 It versammelt – beispielhaft demonstriert am Titelstück, dessen bewusste Schlichtheit kinderliedhafte Lieblichkeit mit faszinierender Rätselhaftigkeit verbindet. Und wenn Hadreas aus sich herausgeht, dann klingt es, als wolle der norwegische Doors-Adept Rune Simonsen der Band Washington das Eis von den Spitzen des Holmenkollen singen.

Man kennt derlei musikalische Ein-Mann-Unternehmen, wie sie Leute wie Sufjan Stevens, William Fitzsimmons, Bart Davenport oder zuletzt der großartige Youngster Benjamin Francis Leftwich mit seinem Album last smoke before the snowstorm gekonnt am Laufen halten. Doch wo Davenport oder Fitzsimmons noch ganz der Direktheit und der Klarheit ihres Gesangs vertrauen, da schwebt Hadreas, dieser kleine Prinz des Antifolk, bereits auf Klangteppichen in sein persönliches Nirwana. Er wird zurückkommen von dort, und weiter suchen nach dem Glück in den Untiefen des Übels. Mit Liedern voller Dunkelheit und Größe, wie sie in dieser Art derzeit nur einer singt: er selbst.

„Put Your Back In 2 IT“ von Perfume Genius ist erschienen bei Matador Records.