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Hooks aus dem breiten Kreuz

 

In ihrem Übungskeller wird Schweiß zu Virtuosität: Baroness aus Georgia spielen allerfeinsten Metal mit Progrock-Erinnerung. Ihr neues Album „Yellow & Green“ ist beeindruckend.

© Relapse

Baroness aus Savannah, Georgia, gehören zur jüngeren Generation von Metal-Bands, die sich die Verspieltheit vom Progrock der Siebziger ausleihen und sie verbinden mit kompositorischer Offenheit, Komplexität und wütendem, die geschwollenen Halsadern zeigendem Sludge. Und der wiederum stellt ja nun auch schon eine Hybridbildung aus Doom Metal, Stoner Rock und Hardcore dar. Eklektizismus im Quadrat also.

Neben Mastodon, die damit zur Zeit wohl am meisten Erfolg haben, könnte man Bands wie Kylesa, U.S. Christmas, End of Level Boss, Valkyrie nennen, die alt und neu in einen Topf werfen und einzelne Subgenres in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen zu ihrem eigenen Personalstil verschmelzen. Baroness gelang das schon mit ihren ersten beiden Produktionen, dem Red Album und der Blue Record, auf sehr suggestive Weise.

Es ergab immer wieder einen schönen Kontrast, wenn nach einer rüde gebolzten, akustisch tiefergelegten Grölbreitseite der komprimierte Sound zerfiel, sich diversifizierte in kontemplativer Geräuschmalerei, Hippie-Schwell-Effekten, torkelndem Hard Rock mit psychedelisch-temperierten Leadgitarrenschnörkeln.

John Baizley, der musikalische Kopf, der auch die kongenialen Jugendstilcover gestaltet, hat sich und seiner Band von Anfang an einiges zugetraut und mit Verve und Vehemenz die erprobten Strukturmuster des Metal über den Haufen geworfen.

Nach Red und Blue folgen nun also Yellow & Green, und man darf sich durchaus ein bisschen überfordert fühlen von dieser doppelten Portion Verstiegenheit, Mutwillen und Egozentrik, aber eben auch musikalischem Ingenium.

Das Stumpf-Lärmige des Sludge ist einer stärkeren Anbindung an die Siebziger gewichen, also an jene Zeit, als sich die härteren Spielarten des Rock’n’Roll noch nicht begrifflich ausdifferenziert hatten, und alles, vom Psychedelic, Folk, Blues und Southern Rock, wenn er nur mit dem nötigen Schalldruck und entsprechend dicker Hose vorgetragen wurde, unter dem konzilianten Rubrum „Heavy Rock“, eben noch nicht Heavy Metal, Platz fand. Baroness liegen damit durchaus im gegenwärtigen Genretrend: Die Retromanie ist längst auch hier angekommen, wie die Erfolge von Graveyard, Rival Sons und Freedom Hawk unter Beweis stellen.

Beeindruckend ist das kompositorische Kalkül der Band. Nur selten verliert sich ihr Spiel in Eigenbrötlerei oder Jam-Selbstvergessenheit, die den Stoner Rock oftmals für den Musiker attraktiver machen als für den Hörer. Diese Beliebigkeit fehlt hier ganz: Nicht nur weil die Band immer wieder auf den Punkt kommt und sich Hooks aus dem breiten Kreuz leiert, die man gern ein zweites Mal hört, sondern auch weil die vielen instrumentalen Ab- und Ausschweifungen stets eine gewisse Eingängigkeit auszeichnet. Das klingt improvisiert, ist es aber nicht. Und das riecht bei aller Virtuosität nicht nach Bohnerwachs und Konservatorium, sondern nach Übungskeller und dem Schweiß, den die Musik gekostet hat.

„Yellow & Green“ von Baroness ist erschienen bei Relapse.

Nachtrag: Baroness sind vor wenigen Tagen während ihrer England-Tour mit dem Bus verunglückt. Trotz zahlreicher Knochenbrüche zeigen sie sich auf ihrer Website allerdings schon wieder guter Dinge.