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Die neue Wutmusik

 

Ä-r-g-e-r-l-i-c-h! Das Debütalbum von Die Heiterkeit erntet allerorts großes Lob. Unseren Autor Jan Freitag bringt dieser flauschige Indierock-Dilettantismus auf die Palme.

© Katja Ruge

In der Kunst kann Dilettantismus zweierlei sein: ein Strukturmerkmal bewusster Perfektionsverweigerung (Dada) oder der gewollten Kompetenzunterschreitung (Punk). Beides wirkt gezielt unterdurchschnittlich, irgendwie struppig und roh, jedenfalls mit Potenzial zur Überinterpretation. Weil diese zwei Spielarten des Dilettantismus sowohl zum kulturpolitischen Statement taugen als auch zur Verschleierung des eigenen Unvermögens, sind sie ja so beliebt in der weiten Welt des Pop.

Nun sei mal dahingestellt, ob Stella Sommer, Rabea Erradi und Stefanie Hochmuth wenig von Gitarre-, Bass- und Schlagzeugspielen verstehen oder nur so tun. Ob die drei Frauen aus Hamburg also eine Band bilden, die bloß unbeholfen klingt oder wahrhaft unbeholfen ist. Ob ihr Name Die Heiterkeit also mehr ist, als ein ironischer Hieb aufs Verwertungsgefüge der Branche, vielleicht gar „tiefenentspannter Größenwahn jenseits fahler Girliezismen“, wie der Bierbeben-Gitarrist Rasmus Engler schwärmt, aus Sicht des Hamburger Autors und Clubbetreibers Tino Hanekamp gespielt von „Freiheitsstatuen im Zwergenwald“.

Die Antwort lautet, bei aller geboten Distanz: nichts von alledem. Herz aus Gold, das lang herbeigeflüsterte Debütalbum des Trios mit DIY-Easy-Listening-Attitüde, ist ein ruhiger Fluss der Geschmeidigkeit. Und er macht den kritischen Zuhörer wütend. Wütend, weil es so anheimelnd und einvernehmend ist, was die drei gänzlich Unbekannten der sonst so inzestuösen Hamburger Indiepopfamilie da an Schmusesongs in die Ohren suppen lassen. Wütend, weil Unvoreingenommenen instinktiv gefällt, was da zu hören ist. Wütend vor allem, da einem die eigene Anspruchslosigkeit gleich zwölffach an die Stirn geklebt wird.

Mit gelangweilter, unterprononcierter, fast herablassender Nebensächlichkeit singt Stella Sommer von Wegen, die alle zu ihr führten, und Armen, in die man dort kommen könne, oder andernfalls Tränen, die man ihr nicht nachweinen möge. Im Hintergrund jammert dazu ihre unverzerrte Gitarre zu Rabea Erradis, nun ja, minimalistischem Bass, begleitet von Stefanie Hochmuths Trommeln, das mit schlicht noch freundlich beschrieben wäre.

Es ist alles ein bisschen Lassie Singers, nur ohne Humor, ein bisschen Bernadette La Hengst, nur ohne Politik, ein bisschen Kommando Sonne.nmilch, nur ohne Disharmonien. Es mäandert zwischen Hamburger Schule und Twee Pop, schön schrecklich und schrecklich schön und wenn von „Gefällt mir gut, ich bin bereit/I touch you with my Heiterkeit“ die Rede ist, schwimmen sogar kurz Ja, Panik vorbei, die es beim selben Label weit gediegener zugehen lassen.

All dies wäre jedoch weniger ärgerlich, die Wut rascher verpufft, klänge das Ganze nicht so angenehm, so beiläufig hörbar, liefe es nicht so rein in den Bauch, um dort zu bleiben und wohlige Wärme zu entfalten. Man möchte ja irgendwie doch lieber Einstürzende Neubauten mögen – Dystopie, Psychodramen, Vertrackheit, so was – und lässt sich doch immer wieder von Heiterkeiten umschmeicheln. Hier ließe sich also ein zum geflügelten Wort geronnener Songtitel von Deichkind zitieren, aber das wäre ja auch nur billig. Also: selbst reinhören, ärgern oder freuen, womöglich eher Letzteres.

„Herz aus Gold“ von Die Heiterkeit ist erschienen bei Nein, Gelassenheit/Staatsakt.