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Hippiehipster halten den Pop elastisch

 

Ist das noch Pop oder schon was anderes? Auch nach 13 Jahren der musikalischen Grenzverschiebungen ist das Animal Collective nicht müde, wie sein neues Album beweist.

© Brian Deran

Was soll nach 13 Jahren noch kommen?, kann man sich fragen anlässlich des neuen Studioalbums Centipede Hz des Animal Collective. Selten entwickelte sich eine Gruppe so kontinuierlich, zeitbezogen und klug entlang eines Jahrzehnts, wie das Quartett aus Baltimore in den Nullerjahren, gipfelnd in seinem bis dato zugänglichsten und letzten Studioalbum Merriweather Post Pavillon von 2009.

Über acht Alben hinweg haben Animal Collective ihre Idee des hierarchielosen Improvisierens gleichberechtigter Instrumente und Akteure zelebriert und verfeinert und produzierten dabei doch nie Avantgardismen, sondern immer Pop. Ihre von neohippiesker Spiritualität genauso wie von großstädtisch-hipsterhafter Künstlichkeit informierten Stücke ließen ihnen jederzeit genug Raum, sich an Instrumenten, Computern und Synthesizern zu verausgaben, und waren doch immer als Songs erkennbar. Songs allerdings, die sich scheinbar erst aus ihrem unvorhersehbaren Verlauf heraus entwickelten.

Nicht zuletzt hatte ihre Musik auch einen politischen Aspekt: Das strukturell offene Musizieren des Animal Collective sträubte sich in seiner Undefinierbarkeit hartnäckig gegen die wirtschaftlichen Verwertungszusammenhänge des Indierocks der Nullerjahre, gegen Revival- und Recyclezwänge, und gegen immer hastiger zusammengeklatschte Band- und Songrollenmuster, erdacht, um möglichst schnell den nächsten Hype lancieren zu können.

Dabei wirkte das Animal Collective vor allem deshalb so einzigartig, weil seine musikalische Offenheit Vielheiten produzierte – die gleichzeitig an den amerikanischen Protohippie Whitman und das postmoderne Theorieduo Deleuze/Guattari denken ließen – und dennoch erstaunlicherweise nahezu ironie- und referenzfrei waren. Wenn es im vergangenen Jahrzehnt eine Popmusik gab, die absolut nicht in Gefahr stand, durch zu viel Selbstbezug in öden Konservativismus umzuschlagen, dann war es die des Animal Collectives.

Mittlerweile haben die vier US-Amerikaner mit den Pseudonymen Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Deakin ihre Kollektivprogrammatik mit verschiedenen Mitteln, in unterschiedlicher Besetzung und in schwankenden Intensitätsgraden durchexerziert, meist manisch detailversessen, mit dronigen Flächen, schrängelnden Gitarren und Field Recordings, wie auf Sung Tongs, oder in einer an Hysterie grenzenden synthetischen Hibbeligkeit, wie auf Strawberry Jam. Doch immer hielten sie am Song fest, als Rahmen für den ganzen synkopischen, verschachtelten, unüberschaubaren Wahnsinn, der sich in ihm abspielen durfte.

Centipede Hz entstand nun, nicht wie sonst üblich durch das Hin- und Herschicken von Dateien zwischen den verstreut lebenden Musikern, sondern im quasi-improvisierten Zusammen- und Gegeneinanderspiel im Studio. Das Ergebnis klingt, wenn nicht gar wie ein Livealbum, dann zumindest wie der Versuch, so spontan, direkt und hemdsärmelig wie möglich aufeinander zu reagieren. Die souveräne Gelassenheit des penibel konstruierten Vorgängers ist einer Nervosität der sich in Übungsräumen oder auf Bühnen drängelnden Ideen gewichen, analoge Instrumente treten dabei in den Vordergrund, besonders Gitarren, wofür vor allem der wieder dazu gestoßene Deakin verantwortlich sein dürfte.

Am Ende könnte man Centipede Hz auf eine Arbeitshypothese verdichten: Was hält Popmusik aus, wenn sich das Improv-Pop-Rudel Animal Collective in Echtzeit über sie hermacht? Diese elf neuen Stücke mit all ihren schroffen Wendungen und gewagten Richtungswechseln machen noch einmal deutlich, wie das tierische Kollektiv Fortschritt definiert: Nicht als gewaltsames Sprengen, Fusionieren oder Verschmelzen von Genres und Stilen, sondern als Ausdehnung der Grenzen eines uralten Formats, dem des Popsongs.

„Centipede Hz“ vom Animal Collective ist erschienen bei Domino.