Rosalie Eberle lässt sich Zeit, beim Reden wie beim Singen. Die Songschreiberin aus dem Chiemgau stellt sich quer zu allen Moden und hat als Rosalie und Wanda ein erheiterndes Debüt aufgenommen.
Wanda gibt’s nicht. Oder doppelt. Jedenfalls sind Rosalie und Wanda kein Duo, sondern Rosalie Eberle ist eine Singer-Songwriterin, die sich von Manfred Mildenberger an Schlagzeug und Klavier und von Sascha Biebergeil an der Gitarre begleiten lässt. Rosalie ist also eine Hälfte des Duos, und Wanda die andere, aber zu zweit. Höhere Mathematik.
Jakob ist weg. Wanda und Jakob hieß ein früheres Projekt Eberles, das ziemlich neuedeutschewellig klang und gern mal mit aufgeklebten Bärten in Uniform auftrat. Die Sängerin aus dem Chiemgau hat ein Semester an der Theaterakademie in München studiert, bevor sie an der Musikhochschule der Bayern-Hauptstadt ihr Diplom in Jazzgesang erwarb. Achja: Jakob waren auch schon mehrere, darunter Steffi Jakobs, heute bei der Elektro-Indie-Band Tubbe.
Jetzt ist Secundus Minutius Hora da. Der weise Verwalter der Zeit in Michael Endes Roman Momo gibt Eberles Erstling seinen Titel: Meister Hora, der Herr der Schildkröte Kassopeia, der Widersacher der Zeitdiebe. Wie er scheint sich auch Rosalie Eberle dem Kampf gegen diese grauen Herren verschworen zu haben, die uns zu immer mehr Effizienz zwingen, um sich von der Zeit zu nähren, die wir sparen. Jedenfalls nimmt sich ihre Musik jede Sekunde, die sie braucht, und stellt sich quer zu Trend und Moden.
Ihre Poesie ist schlicht: „Ich wunder‘ mich, aber lauf, mein Pferdchen, lauf. Ich wunder‘ mich, ich wunder‘ mich, aber wo, wo woll’n wir hin? Ich wunder‘ mich über Mann und Frau“ heißt es in Ich wunder‘ mich. Anderswo besingt Eberle das gemeinsame Pflanzen eines tanzenden Apfelbaums mit dem geliebten Gegenüber oder die Cheshire Cat, die Grinsekatze aus Alice im Wunderland, die es versteht, unter Zurücklassung ihres Lächelns zu verschwinden. Meistens auf Deutsch, manchmal auf Englisch, manchmal beides.
Entschleunigung wünsche sie sich, hat eine nachdenkliche, behutsam formulierende Rosalie Eberle im BR-Interview gesagt: „Dass ich da, wo ich grad bin, irgendwie auch da bin. Oder auch, wenn ich mit Menschen bin, dass ich dem ein bisschen Zeit geben kann.“ In ihren Interviews macht sie es wie in ihrem Gesang: Sie lässt den Worten Luft und Raum zum Atmen.
Vieles ist countryfolkchanson-kuschelig, auch wegen der vorwiegend akustischen Instrumentierung (zwei Gitarren, Geige, Percussion, Keyboard). Etliches erhebt leicht augenzwinkernd Kunstanspruch. Manches klingt nach Brecht-Weill im Stadttheater wie das Lied über die verschollene Lulu und ihre roten Stiefel, wo sich auch mal „Raum“ auf „Traum“ reimen darf, obwohl das schon fast in die Herz-Schmerz-Kategorie gehört. Und gelegentlich verfällt die Band in guten alten Kunstkrautrock mit krachender Schweinegitarre wie in Geh weiter oder im Titelsong.
Das Studium hat sich gelohnt: Mit ihrer Stimme kann Eberle umgehen. Irgendwo zwischen Piaf und PJ Harvey, Norah Jones und Judith Holofernes, im Duktus auch nicht ganz un-element-of-crimig (nur halt weiblicher). Ohne Scheu vor auch mal wenig klangschöner Stimmakrobatik, wenn’s der Sängerin angemessen erscheint. Also keineswegs immer gefällig. Aber immer interessant. Und meist unter Zurücklassung eines Lächelns.
„Meister Hora“ von Rosalie und Wanda ist erschienen bei ahoi records/BLK.