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Die Beschissenheit der Dinge

 

Die Songwriterin Almut Klotz ist im Alter von 50 Jahren an Krebs gestorben. Sie war eine große Stimme der Westberliner Popkultur und hinterlässt uns ein tröstendes, neues Album.

© Robin Hinsch
© Robin Hinsch

Eigentlich sollte dieser Text eine überschwängliche Rezension werden. Jubelnd über das grandiose neue Album von Almut Klotz & Reverend Dabeler. Darüber, dass Lass die Lady rein ein melancholisches, manchmal fast witziges Album im Genre Kaputtes Liebeslied geworden ist. Alle Stücke mit dem Wissen gesungen, dass die Beschissenheit der Dinge ohne den anderen noch viel schwerer zu ertragen wäre, wie es in Welt retten heißt. Und man zur Not immer noch auf den Tischen tanzen kann, bis der Saal zerfällt.

Und jetzt ist Almut Klotz tot. In der vergangenen Woche an Krebs verstorben. Sie wird die Veröffentlichung ihrer Platte nicht mehr erleben und auch nicht mehr mit Reverend Dabeler auf die schon gebuchte Tour gehen.

Was bleibt, sind ihre Lieder. Nun durchsucht man sie nach Zeichen, Sätzen und Wegen, die durch die Trauer helfen könnten. Und findet Trost in der Wehmut und Angst, die das neue Album prägen – stets liebevoll lakonisch vorgetragen.

Am Anfang gleich ein Hilferuf. „Mylord, ich war immer offen, doch jetzt bin ich total besoffen (…) Jetzt hat es mich aus der Kurve rausgehauen, könntest du mal bitte nach mir schauen?“ Obwohl sowohl Klotz und Dabeler beide die 50 erreicht haben, scheint es so, als wären die Probleme noch dieselben wie in der Pubertät. Bloß längst nicht mehr so dramatisch. Die beste Freundin ruft nur noch gelegentlich an, um festzustellen: „Naja, bei mir ist eigentlich auch nichts passiert.“ Der Sommer lässt uns zwar unbeschwert taumeln, aber wird uns doch bald allein lassen. Und die Liebesbeziehung läuft dann doch wieder auf die Weisheit hinaus: „Im Grunde deines Wesens bist du ein schmutziger Charakter, im Grunde meines Wesens fand ich’s sehr, sehr schön.“

Der optimistische, oft fröhliche Umgang mit den Hässlichkeiten des Alltags zog sich immer durch Klotz‘ Leben. Als sie in den Achtzigern nach Westberlin kam, gründete sie mit Christiane Rösinger die Lassie Singers. Endlich eine deutsche Mädchenband, die Sauflieder genauso wie die Jungs sang, Pärchen den Kampf ansagte und zugab, ein Faible für Idioten zu haben.

Klotz dampfte weiter in allen Gassen, war an den Bandgründungen von Parole Trixi und Maxi unter Menschen beteiligt, betrieb mit Rösinger zusammen das Label Flittchen Records und die Flittchenbar. In dem von ihr ins Leben gerufenen Popchor Berlin sangen mehr oder weniger begabte Menschen Lieder von Daft Punk bis Gang Of Four.

Mit ihrem Partner und späteren Ehemann Christian „Reverend“ Dabeler schrieb Almut Klotz Prosa, gemeinsam brachten sie vor sechs Jahren ihr Debütalbum Menschen an sich heraus. Vor Kurzem erst haben sich die beiden in ihrer eigenen virtuellen Villa in der Hanseplatte eingerichtet, vor den Augen aller Besucher ihre Lieblingsbücher, Filme und Platten zwischen Einrichtungsgegenständen drapiert.

Lass die Lady rein – was sich nunmehr wie Knocking on Heaven’s Door liest, wie die Labelfreunde von Staatsakt passend feststellen – spielt weiter, klingt mal nach Nashville, mal nach Soul, mal nach wimmernder Orgel und immer nach großer Songwriterkunst.

Und schon erklingt der letzte Song dieses letzten Albums: „Ich will noch sagen, wie unser Leben besser sein kann, ohne dass alle sterben müssen“, singt, nein, sinniert Reverend Dabeler in Rache und Gerechtigkeit. Er erzählt von Lotto-Lothar und von den Zeiten, in denen wir noch Angst vor den Dinos hatten. „Ich singe, damit nichts Schlimmes passiert“, heißt es zum Schluss. Jetzt ist das Schlimmste passiert. Wir können uns glücklich schätzen, dass Almut Klotz gesungen hat und dadurch auch in diesen Tagen die Beschissenheit der Dinge erträglicher wird.

„Lass die Lady rein“ von Almut Klotz & Reverend Dabeler erscheint am 23. August bei Staatsakt.