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Powerchords sind schon okay

 

Am Artrock der frühen Alben von TV On The Radio gab es nichts zu verbessern. Auf ihrer neuen Platte Seeds klingt vor allem die Zuversicht der Band unverbesserlich.

© Juco/Vertigo
© Juco/Vertigo

TV On The Radio waren schon einmal optimistisch, und damals ging die Sache nach hinten los. Im August 2008 veröffentlichte die New Yorker Band das Stück Golden Age, ihren bis dahin eingängigsten Popsong. Er war jedoch nicht als Amtseinführungshymne für Barack Obama gedacht, dessen Präsidentschaft sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnete. Vielmehr komplimentierten die funky Gitarrenlicks und Bläsersätze des Songs den alten Amtsinhaber nach draußen, schlugen die Tür hinter ihm zu und freuten sich auf eine bessere Zukunft.

Was TV On The Radio nicht ahnen konnten: Golden Age war nicht der Anfang der Party, sondern ihr Ende. Das zugehörige Album Dear Science blieb hinter den kommerziellen Erwartungen der großen Plattenfirma zurück, die es veröffentlichte. Sein Nachfolger Nine Types Of Light konnte 2011 auch die hohen künstlerischen Standards nicht mehr erfüllen, die TV On The Radio mit ihrer aus Post-Punk, Prog, Rap, Soul und Gospel zusammengesetzten Rockmusik selbst aufgestellt hatten.

Hinzu kamen persönlicher Ärger und Schicksalsschläge: Das Leben im gentrifizierten Brooklyn wurde zu teuer und kurz vor der Veröffentlichung von Nine Types Of Light starb der Bassist Gerard Smith an Krebs. TV On The Radio konnte es danach nur noch als Band unter veränderten Vorzeichen geben. Sie brauchten eine Weile, um sich zu berappeln, gründeten Nebenprojekte und ließen sich teilweise in Los Angeles nieder. Nun kehren sie mit ihrem fünften Album Seeds aus der ersten echten Bandkrise zurück. Und trauen sich wieder, optimistisch zu sein.

Bevor man zu den frohen Botschaften von Seeds durchdringt, überrascht einen die Platte jedoch mit einem generalüberholten Sound. Nichts ist mehr übrig von den rauschenden Gitarren, Synthesizer-Störgeräuschen und Rhythmustricks, die früher an den Songs von TV On The Radio genagt haben. Alles ist aufgeräumt und auf größtmögliche Klarheit ausgelegt, die Lieder nehmen kurze Wege zu hymnischen Refrains. Der Multiinstrumentalist und Produzent Dave Sitek, bisher als Gegner von konventionell eingesetzten Rockgitarren bekannt, lässt sich in Winter und Lazerray sogar zu Powerchords hinreißen.

TV On The Radio opfern für diese Umorientierung ihren Erfindergeist, der auf früheren Alben immer wieder zu erstaunlichen Artrock-Erkenntnissen geführt hatte. Sie klingen nicht mehr unverwechselbar, bewegen sich aber ziel- und stilsicher über ihr neues Terrain. Das nervöse Geklingel von Quartz, mit dem Seeds schön unvermittelt beginnt, bringt den Harmoniegesang der Beach Boys mit der Feierlichkeit eines Gospelchors zusammen. Das bereits erwähnte Lazerray ist – Powerchords hin, Powerchords her – der stärkste TV-On-The-Radio-Song seit Golden Age. Ride gelingt die Art von Streicherbombast-Pop, an der das letzte Coldplay-Album so grandios scheiterte.

Was Seeds schmerzlicher fehlt als ein paar dröhnende Verstärkerboxen, ist die analytische Schärfe, mit der TV On The Radio die Welt früher betrachteten. Die Sänger Tunde Adebimpe und Kyp Malone waren immer gut darin, die Sorgen und Entfremdungsgefühle moderner Großstädter zu erfühlen und zu artikulieren, bevor diesen überhaupt klar wurde, wo der Schuh drückt. Diesmal fällt ihnen nicht viel mehr ein, als „Don’t worry, be happy“ zu singen. Weil sich die gebeutelte Band mit diesem Ratschlag vor allem selbst adressiert, kann der Optimismus von Seeds für Außenstehende blauäugig klingen. Für TV On The Radio war er wohl überlebensnotwendig.

„Seeds“ von TV On The Radio ist erschienen bei Vertigo Berlin/Universal.