Die Bundeswehr steht im Kongo – und was hören die deutschen Soldaten? Möglicherweise „Congotronics“, archaische Gesänge und Trommelmuster, die metallisch verzerrt vom 21. Jahrhundert künden. Selbst Björk wurde schon hellhörig
Der Kongo rückt seit einigen Monaten immer näher an Deutschland heran, und was die Musik betrifft, ist das absolut ein Grund zur Freude oder vielmehr: zur Ekstase. Es lässt sich kaum ein größerer Kontrast vorstellen als der zwischen den Elends- und Albtraumbildern zur bevorstehenden EU-Mission der Bundeswehr im Kongo und der explosiven Euphorie kongolesischer Popmusik. Die entlud sich in den vergangenen Jahrzehnten vorzugsweise in den überirdischen Gitarrenläufen einiger der besten Gitaristen unseres Planeten, unter ihnen Diblo Dibala, Wawale Banane und ein paar Dutzend anderer großer Unbekannter. Warum diese Leute mit ihrer jubilierenden Tanzmusik nie zu globalen Superstars aufgestiegen sind, gehört zu den großen Menschheitsrätseln. Ihre Aufnahmen muss man sich immer noch mühsam zusammenklauben, dabei werden sie seit den achtziger Jahren vor allem in Paris produziert, gerne auch überproduziert. Egal: Die Gitarren entschädigen für alles.
Eine sehr viel rauhere Musik aus dem Kongo, die ganz und gar ohne Gitarren auskommt, ist derzeit dabei, die westliche Welt zu erobern. Na, ja, zumindest die Ohren und Herzen auffallend vieler Freunde elektronischer und experimenteller Musik, die um so genannte Weltmusik sonst eher einen Bogen machen. Sie läuft unter der griffigen Bezeichnung „Congotronics“. Diese sehr urbane Musik scheppert und kracht und groovt und hypnotisiert, sie ist Garagenmusik im besten Sinne: Ihre Instrumente sind aus allerlei Auto- und Elektronikschrott zusammengeschraubt. Es ist Trance-Musik: Archaische Gesänge und Trommelmuster, die jahrtausendelang der Geisterbeschwörung dienten, kommen kräftig verzerrt und metallisch verfremdet im 21. Jahrhundert an – eine Offenbarung.
Voriges Jahr wurde die erste CD unter dem Titel Congotronics veröffentlicht, mit Aufnahmen der Straßenband Konono No. 1 aus Kinshasa. Zu verdanken haben wir sie dem in Belgien (genau, das ist die ehemalige Kolonialmacht im Kongo) ansässigen Independent-Label Crammed Discs. Der Brüsseler Musikologe und Produzent Vincent Kenis, 56, hatte bereits 1980 ein paar Minuten dieser völlig ungewohnten Musik bei einem französischen Radiosender aufgeschnappt. Zehn Jahre später brach er in Kongos Hauptstadt Kinshasa auf, um diese namenlose Band zu finden – vergeblich. Bei der nächsten Exkursion, wiederum neun Jahre später, fand er sie endlich, nahm sie live in seinem mobilen Studio auf, bestehend aus einigen Mikrophonen und einem Powerbook, auf dem er auch gleich im Hotelzimmer den ganzen Mix machte – fertig war die erste „Congotronics“-CD.
Die 12-köpfige Band Konono No. 1 unter der Leitung des mittlerweile 73-jährigen Mawangu Mingiedi macht traditionelle Musik für die Stadt. Die Basis ihrer Klangmauern bilden drei Daumenklaviere (je eins für Tiefen, Mittel und Höhen), die schon im unverstärkten Originalzustand einen angenehm metallenen Klang haben – wie geschaffen, um von einem Verstärker verzerrt zu werden. Und genau wie die amerikanischen Bluesmusiker, die in den 1940ern und 1950ern aus dem ländlichen Süden nach Chicago gekommen waren, sich gegen den Lärm der Großstadt mit elektrischer Verstärkung durchsetzten, griffen auch die Konono-Musiker zu allem, was ihre Musik lauter machen konnte: ausgediente Autolautsprecher, Magnete und Drähte, die Megaphone der früheren Kolonialherren.
Zum Wundersamen an dieser Musik gehört, dass Konono No. 1 nicht etwa westliche Einflüsse aufgesogen und mit ihrer traditionellen Musik verschmolzen haben – so das Rezept für manch weichgespülten Ethnokitsch. Sie wollten und mussten einfach lauter sein, fanden Gefallen an den Verzerrungen und sonstigen Nebenwirkungen und schufen so eine Klangwelt, die nichts mit Fusion zu tun hat, dafür viel mit Minimalismus und Techno und Punk und dem kalkulierten Wahnsinn von Leuten wie Lee Perry oder Aphex Twin.
Zurzeit sind Konono No 1 auf großer Tournee durch die USA, Kanada, Frankreich, Japan – ein paar Stücke mit Björk haben sie auch schon aufgenommen. Eines schönen Tages werden sie hoffentlich auch nach Deutschland kommen. Wenn so etwas wie diese Musik 25 Jahre lang unbemerkt in Kinshasa vor sich hin krachen konnte: Wer weiß, was es dort noch alles zu entdecken gibt.
Beide CDs der „Congotronics“-Reihe sind erschienen bei Crammed Discs
Hören Sie hier „Paradiso“ von Konono No 1 (Congotronics 1) und „Koyile/Nyeka Nyeka“ von Kasai Allstars (Congotronics 2)
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