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Wader kommt ganz groß in Mode

 

Ein Folkzausel erobert nach 40 Jahren Liedermacherkarriere erstmals die Top 20: Hannes Waders neues Album ist nostalgisch, rumpelpolitisch, selbstironisch – herrlich.

© Universal Music

„Hannes Wader ist in den Charts.“ Bitte? Der Satz geht nicht. Semantisch unmöglich. Der alte Folkzausel passt da nicht hinein. Bitte, er ist gerade 70 geworden (Glückwunsch auch). Da kann er doch nicht plötzlich zum ersten Mal nach 40 Jahren Karriere mit einem Album in die Top 20 eindringen.

Tut er aber. Mit hoffnungslos altmodischen, selbstreflexiven, nostalgischen und rumpelpolitischen Liedern – herrlich. Wader verlässt sich auf Klimperklavier und Klampfgitarre wie eh und je. Und auf seine gereifte Stimme, die in den Höhen ein wenig fragiler geworden ist. Das ist auch gut so: Die Lieder, die die Plattenfirma meinte, mit Slide-Gitarre, Schifferklavier und Schlagzeug andicken zu müssen, sind die Schwachstellen des Albums.

Die Stärke des Liedermachers liegt in schlichten Folksongs. Er übersetzt Tom Paxtons Last Thing On My Mind als Ich werd‘ es überstehn und Autumn Leaves, seinerseits aus dem Chanson Les Feuilles Mortes entstanden, als Die Welken Blätter. Von Pete Seeger übernimmt er die biblische Weisheit, das jedes Ding seine Zeit hat (Seit Ewigkeiten). Wenn er in seinem beiläufigen Ton über letzte Dinge und große Dinge singt, ist er am besten. Wenn er en detail bedichtet, wie sein Vater als Kind einen Drachen gebaut hat, schimmern die großen Dinge in den Kleinen.

Wahrscheinlich schafft Wader es auch deshalb in die Charts, weil er den Ton seiner Generation trifft, der 60-und-70-Somethings, die sich noch nicht in Marketingschubladen wie „Best Ager“ oder „Silver Surfer“ beerdigen lassen wollen, die „Loser sind, die gern gewönnen“, wie Wader singt. Er singt von ihnen, ihrem Leben, ihren Lieben, ihren Schmerzen.

Wader klopft Reime, wie er sie auch vor 20 und 30 Jahren schon draufhatte. Die karnevalesken bis zynischen Sottisensammlungen in seinem Werk waren immer Geschmackssache. Aber Selbstironie stimmt versöhnlich mit einem Zehn-Minuten-Schinken über das Frauen-Erobern wie Nah dran: „Da ist dann auch so ein Typ mit ner Gitarre aufgetreten / Uschi ist fast ausgerastet, als der anfing zu singen / um Heute hier, morgen dort von Reinhard Mey zu bringen“. Für die Jüngeren: Heute hier, morgen dort ist von Wader höchstselbst.

Im Lied vom Tod befasst Wader sich in diesem Stil mit seinem eigenen Ende, und da passt er wieder gut. Er kündigt an, er werde kurz vorm Ende noch rasch in die NPD eintreten: Er wolle „das Triumphgefühl auskosten, dass ich jetzt eben grad‘ / Als einer von diesen rechtsradikalen Schweinehunden abkratze und nicht als aufrechter, linker Demokrat“.

Wader meint, was er singt, der Altlinke schaut keinem aufs Maul, auch wenn er nicht mehr in der DKP ist, sondern ein „frei schwebendes Arschloch“, wie er 2007 ZEIT ONLINE sagte. Die Einnahmen aus Album (nicht mehr beim kleinen Pläne-Label, sondern bei Universal) und aus der Tour kann er aber brauchen: „Ich will auf meine alten Tage dann doch nicht der Allgemeinheit auf der Tasche liegen und wenigstens für meine Wenigkeit ein bisschen Verantwortung übernehmen“, sagte er der Jungen Welt. Klingt wie einer seiner Texte.

Um die Perlen auf diesem Album zu finden, muss man wie eh und je in 40 Jahren Liedermacherkarriere auch leicht nervenden Agit-Prop über die Unappetitlichkeiten der Ernährung in der globalisierten Welt (Mahlzeit) ertragen und die eine oder andere wirre Geschichte. Aber wie singt Wader: „Alles hat am Ende sich gelohnt.“

„Nah dran“ von Hannes Wader ist erschienen bei Mercury/Universal.

Nachtrag:

Zu Waders 70. haben Musiker der Enkelgeneration wie Johannes Strate, Philipp Poisel, Max Prosa, Bosse, Pohlmann und Glasperlenspiel Klassiker aus dem Wader-Katalog gecovert. Die Band Slime verpunkt Heute hier, morgen dort, Anna Depenbusch zieht es Nach Hamburg (ein großartiger Song), und Apfel S technoisieren Kokain – ein Fremdkörper auf einem sonst recht respektvollen Tribute-Album, das allerdings unter zu vielen Presskopfstimmen (Johannes Strate, Philipp Poisel, Tiemo Hauer et al.) leidet.

„Heute hier morgen dort – Salut an Hannes Wader“ ist ebenfalls erschienen bei Mercury/Universal.

Im Oktober und November tritt Wader fast täglich irgendwo in Deutschland auf.