Sieben Jahre nach ihrem Debüt hat die Berlinerin Justine Electra ein neues Album herausgebracht. „Green Disco“ ist zwischen Wickeltisch, Ausgehen und Rumstehen entstanden.
Im zunehmend weltläufiger werdenden Stadtdorf Berlin rätseln Facebook- und sonstige Freunde seit einer gefühlten Ewigkeit, warum Justine Electra nicht längst ein Star ist. Sie kann’s doch! Ein kurzes Hineinhorchen in ihr Album Green Disco genügt, schon weiß man wieder, was sie den vielen anderen Clubchanteusen voraushat. Justine Electra schafft es, zwei auseinanderstrebende Pole zu versöhnen: das Zarte, Handgezupfte, biologisch Abbaubare auf der einen Seite, auf der anderen einen metropolitanen, mit allen Wassern des Nachtlebens gewaschenen Willen zum Glamour. Mit dieser Frau würde man gern mal urban gardening machen.
Wieso es dennoch sieben Jahre gebraucht hat, bis der Nachfolger für ihr hochgepriesenes Debüt Soft Rock fertig wurde, darauf finden sich in ihren neuen Songs keine Antworten, wohl aber Hinweise. Irgendwie muss es der Alltag gewesen sein, der dazwischenkam: der Liebeskummer, die unbezahlten Rechnungen, das ewige Netzwerken, das Kindergeschrei als Folge beherzt in Angriff genommener, aber offenbar unbefriedigend verlaufener Familiengründungsversuche – alles also, was es sonst noch so gibt im Leben und einen armen Kreativmenschen von heute beim Projektemachen ins Stolpern bringt.
Ein bisschen unfertig wirken sie, diese am Laptop entworfenen Skizzen, als wären sie zwischen Tür und Angel entstanden, als hätten es gerne ein paar freie Minuten mehr sein dürfen, um endlich zu Potte zu kommen und den entscheidenden Coup zu landen, den Clubhit der Saison zum Beispiel oder sonst etwas Einträgliches, „to last and always have a happy end„, wie es an einer Stelle heißt. Doch irgendwas scheint immer den Betrieb aufgehalten zu haben, ein Rasseln, ein Quäken, ein Störgeräusch aus dem Hintergrund, das, wenn es sich schon nicht ignorieren lässt, einfach hereingenommen und mitverwurstet wird in der Disco nach Hausmacherart.
So dauert es natürlich, bis die wichtigen Dinge geregelt sind. Aber vielleicht muss das auch alles so sein, vielleicht ist gerade das Murkeln zwischen Wickeltisch, Schlafzimmerstudio und nächtlichem Ausgehen und Rumstehen so Berlin, ja vielleicht ist diese Karriere auf äußerste Nachhaltigkeit angelegt, und der endgültige Durchbruch erwartet uns nach weiteren sieben Jahren. Irgendwann sind die Kleinen schließlich aus dem Gröbsten raus.
„Green Disco“ von Justine Electra ist erschienen bei Neun Volt Records.
Aus der ZEIT Nr.49/2013