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So klingen Bestnoten in Erdkunde

 

Merrill Garbus kämpft mit den Mitteln des Pop gegen Armut in US-Städten, Wasserknappheit und Selbstausbeutung. Das neue Album ihrer Tune-Yards führt einmal um die Welt.

© Holly Andres
© Holly Andres

Am Anfang steht immer eine einfache Wahrheit. „No water in the water fountain„, singt Merrill Garbus auf Nikki Nack, dem dritten Album ihrer Band Tune-Yards, und dann noch: „No side on the sidewalk„. Die Zeilen beziehen sich auf den Zustand der Infrastruktur in ihrer kalifornischen Heimat Oakland, wo den Bewohnern die Stadt unter den Füßen wegbröselt. Sie eröffnen ein Stück, das allerdings weit mehr im Blick hat als den Asphalt vor der eigenen Haustür.

Garbus mag es so: Mit den Fakten beginnen, und dann mal sehen, wohin sie einen tragen. Diese Herangehensweise führt die Sängerin also zu einem Lied über die vermeintliche Allerweltsressource Wasser, die in vielen Ländern der Welt erbittert umkämpft wird. Mit seiner angriffslustigen Wortwahl, aber auch mit seinem bestens vernetzten Transferleistungspop steht der Song exemplarisch für das Album Nikki Nack, das Tune-Yards einmal um den Globus führt.


Ihre Reise begann die Theater- und Marionettenspielerin Merrill Garbus in Montreal, wo sie Tune-Yards im Jahr 2008 als Schlafzimmerprojekt gründete. Mit Ukulele und Kassettenrekorder nahm sie die Songs ihres Debütalbums Bird-Brains auf und vertrieb sie auf eigene Faust. Der Nachfolger Who Kill erschien 2011 auf einem größeren Indie-Label. Garbus zog nach Oakland, machte den Bassisten Nate Brenner zum Bandmitglied, engagierte drei Saxofonisten und öffnete ihre von Afrobeat, R ’n‘ B, amerikanischen Kinderliedern und afrikanischen Gesangsstilen geprägten Stücke den klassischen Popsongformaten.

Nikki Nack knüpft widerborstig an den großen Kritiker- und kommerziellen Achtungserfolg von Who Kill an. Garbus begab sich auf eine Forschungsreise nach Haiti, durchlebte dort die bisweilen tumultartigen Straßenfeste der Rara-Saison und erlernte Schlagzeugtechniken, die ihrem neuen Album eine neue Aggressivität verleihen. Langeweile und Schreibblockaden sollen den Aufnahmen vorausgegangen sein. Die fertige Platte ist ein trotziger Befreiungsschlag.

Hinter Water Fountain, dem offensichtlichen Hit, warten elf Songs und ein kleines Hörspiel, die sich mehr denn je darum bemühen, US-amerikanische Musiktraditionen aus dem Tune-Yards-Sound zu entfernen. Nikki Nack vermischt Garbus‘ haitianische Lernerträge mit Dub- und Reggae-Resten, auf Unsauberkeit programmierten Beats und Irish-Folk-Gefiedel. Eine kulleräugige Kindlichkeit hält die diversen Stile zusammen.

Garbus‘ Ideenreichtum bleibt beeindruckend, wobei Nikki Nack weniger einladend wirkt als Who Kill. Mit der Musik ist auch der Ton der Sängerin schärfer geworden. Mit Selbstvertrauen und Amtsgewalt singt die 34-Jährige über Pflichten und Privilegien ihres Künstlerinnendaseins, den Kampf mit der eigenen Stimme, dem eigenen Körper und über die Grenzen, an die man zwangsläufig stößt, wenn man unterhalten und doch mehr sein will als eine Entertainerin. Nikki Nack ist die Platte, mit der Tune-Yards solche Problemstellungen aufwerfen und abschütteln. Als nächstes könnte ihr großes Statement-Album kommen.

„Nikki Nack“ von Tune-Yards ist erschienen bei 4AD/Beggars/Indigo.