Der 27-jährige Kalifornier Ty Segall produziert Alben im Akkord. Sein neustes ist eine Liebeserklärung an die kalifornische Rockmusik der Siebziger. Und ein Abgesang auf ihre Schöpfer.
Ty Segall ist der fleißigste Rockmusiker Amerikas, aber erst während der Arbeit an seiner neuen Platte Manipulator begann er, sich wirklich anzustrengen. Fünf Alben in zwei Jahren hatte der 27-jährige Kalifornier zuvor veröffentlicht.
Mal allein, mal mit Band, verortet zwischen bestrafendem Garagen- und besänftigendem Folkrock. Niemand schüttelte sich die Songs während dieser zwei Jahre müheloser vom Leib. Unklar blieb jedoch, ob Segall mehr ist als ein begabter Schlendrian. Würde ihm jemals ein Album gelingen, das die wenigen Monate bis zu seiner nächsten Platte überdauern könnte?
Manipulator beantwortet diese Frage als bisher ambitionierteste Arbeit des Mannes aus San Francisco. Segall erschließt damit keine neuen Tätigkeitsfelder: Er bleibt Stilist und Traditionalist, einer spezifischen Form des Westcoast-Rock der siebziger Jahre verpflichtet, die bereits psychedelisch, glamourös und auch mal größenwahnsinnig war, sich aber noch nicht zur kompletten Prog-Rock-Völlerei durchringen konnte. Anders als bisher bestellt Segall aber all seine Felder gleichzeitig und mit neuer Raffinesse. 14 Monate hat er an Manipulator gearbeitet. Man hört dem Ergebnis jede Studiostunde an.
Das Zusammenspiel der akustischen und (häufig gedoppelten) elektrischen Gitarren, die virtuos eingebundenen Streicher und Segalls stark verbesserter Gesang stoßen tatsächlich neue Tore auf: zu einer Art der Rockmusik, die immer weiter in Spezialisten-Blogs und Boxsets – wie die kostspielige Nuggets-Serie – zurückgedrängt wird. Segall hat sie nie lebendiger und lebensechter erschlossen als mit Manipulator. Wahrscheinlich ist er auch deshalb noch mal einen Schritt weitergegangen.
Bis jetzt war Ty Segall kein schlechter, aber ein beiläufiger Texter. Ähnlich schnell wie er seine Musik komponierte schien er auch die zugehörigen Worte aufzuschreiben. Manipulator möchte nun als erstes seiner Alben über die eigenen Songs hinausweisen. Es ist bevölkert mit Kameradenschweinen und anderen zwielichtigen Gestalten, erzählt von kleineren Gaunereien und einer grundlegenden Paranoia, die sich in den frühen Siebzigern unter den verbliebenen Hippies ausbreitete. Die Grundstimmung klingt nach gestreckten Drogen und sechs Tage nicht geschlafen.
Man könnte also auch sagen: Manipulator präsentiert sowohl Sonnen- als auch Schattenseite von Segalls Lieblingsmusik. Den formschönen Verneigungen vor Bands wie Love und The Zombies stehen meist nur angerissene Geschichten gegenüber, die zusammengenommen ein ähnlich wehmütiges und kaputtes Kalifornien zeigen wie Thomas Pynchon in seinem Detektivroman Natürliche Mängel von 2009.
Ob sich Ty Segall damit vom Blick über die eigene Schulter verabschiedet, wird wohl erst seine nächste Platte zeigen. In den Monaten bis dahin kann man sich fragen, ob dieser Retrorocker auch ein Mann für die Zukunft sein könnte.
„Manipulator“ von Ty Segall ist erschienen bei Drag City/Rough Trade.