Die Klangkünstlerin Anne Laplantine lässt den Hörer in ihren Kopf schauen. Er wird Weggefährte ihrer Melodien – und will ihre Musik schließlich als Klingelton haben.
Ist das eine betrunkene Drehorgel? Setzt gleich die Stimme von Tom Waits ein und ruft die wild gewordenen Töne zu einer herzzerreißenden Weihnachtsballade zusammen?
(Bitte nicht schon wieder Tom Waits. Jeder mag Tom Waits, ich nicht.)
Es singt überhaupt niemand, und die Töne bleiben frei.
(Glück gehabt.)
April heißt das kurze Lied, das Anne Laplantines Album A Little May Time Be eröffnet. Nach nicht einmal zwei Minuten wirbeln die Töne andersherum und nennen sich dann Walking.
(Sind da wirklich 58 Stücke auf der CD?)
Dann ist erstmal Ruhe, eine halbe Minute. Es folgen Oui und Outside – und wieder Pause.
(Früher sprachen sie im Radio immer von Stop-And-Go, sagt man das heute noch? Hierzu würde es passen.)
Beim ersten Hören der CD, nebenbei, sind da 23 Lieder, immer wieder wird ihr Ablauf von Stille unterschiedlicher Länge unterbrochen. Mal eine Sekunde, mal 30, mal 90. Mysteriös.
(Wer denkt sich so was aus?)
Anne Laplantine lebt in Paris. Wohnte in den vergangenen Jahren auch schon in Wien, Köln, Hamburg, Berlin. Unstet auch ihre Lieder: Miniaturen nur.
(Warum „nur“?)
Experimente.
(Kein gutes Wort, klingt so abwertend.)
Kleine Stücke auf der Gitarre, intuitiv drauflos gezupft.
Dann: Beim zweiten, genauen Hinhören ist da viel mehr zwischen den Liedern
(Stücken?)
zu vernehmen. Rauschen, Knacken, das An- und Ausschalten von Geräten, Atmen, der Nachhall eines Liedes.
(Nein wirklich, Lied ist kein passendes Wort. Stücke sind das eher, aber das ist kein schönes Wort. Ändern, wenn mir was Besseres einfällt.)
Anne Laplantine macht die Kontexte ihrer Musik hörbar, das was passiert, bevor das Lied erklingt, nachdem das Lied erklungen ist. Ihr Hantieren, Werkeln. Die sphärischen Klänge ihrer digitalen Gerätschaften, des Mikrofons, Stöpsel rein, Stöpsel raus. Oder auch nur den Raum, der die Künstlerin umgibt.
Still ist es nie.
Die Stücke heißen April und Walking, Me Wrong und Un Tigre. Zu einer Botschaft lassen sich die Titel mit den Klängen nicht zusammenführen.
(Auaaaa!, meine Ohren.)
Das ist gar nicht einfach anzuhören, wenn man es gründlich tun möchte. Man dreht laut, laut, laut, bis zum Anschlag, um ihr Werkeln zu hören. Und versinkt so rasch in diesen Klangfragmenten, dass man beinahe jedes Mal den Moment zum Leisedrehen verpasst.
(Memo für Montag: neue PC-Boxen kaufen.)
(Die Website von Anne Laplantine ist ja auch drollig. Die sieht aus, wie die CD klingt. „An apple is a computer„, haha.)
Zunächst ist da kein Takt, die erste Viertelstunde lauert Tom Waits hinter jeder Biegung.
(Biegung, das passt gut hierzu. Sie biegt die Töne hierhin, dahin.)
Später erklingt ein einfacher Drumcomputer zum Gezupfe, Anne Laplantine singt ein paar schwer verständliche Worte. Der Takt tut dem Hören gut.
Und es lohnt sich, Anne Laplantines Neugierde nachzuspüren. Denn dann vernimmt man Schönes. In den Stücken 20ff etwa meint man, den Weg der Melodie mitzugehen. Von Rev über Where It Goes zu On The Street. Die drei Stücke ähneln sich, variieren je ein paar Töne. Und das hübsche Motiv von On The Street schließlich ließe sich zum Popliedchen aufmöbeln, sicher.
(Wie bekomme ich das bloß als Klingelton auf mein Handy?)
(War da in der Packung damals nicht so ein Kabel?)
Und man meint, in ihren Kopf zu schauen, nachzuvollziehen, wie ein Experiment das nächste herausfordert. Von den Modulationen auf With Voice zum Sampling ihrer Stimme auf Voice Voice And So, und weiter zu den PC-Spieltönen in Ending Programme. In einer perfekten Welt wäre das der Schlussklang von Windows.
(Nee, in einer perfekten Welt gäbe es gar kein Windows.)
Am Ende, in den fünf Sekunden des 58. Stücks haucht Anne Laplantine so etwas wie „Das ist alles, was ich tun konnte“.
(Gewagt, das zu Schreiben, man versteht es ja nicht wirklich gut.)
(Zumal dann, wenn man nicht so gut Französisch spricht.)
(Wäre aber ein schönes Schlusswort.)
„A Little May Time Be“ von Anne Laplantine ist auf CD bei Ahornfelder/A-Musik erschienen