Das Fauré Quartett ist eines der besten klassischen Kammermusikensembles. Jetzt nimmt es sich Popsongs vor – und das ist mehr als nur ein Marketingtrick.
Vorsicht, Kunst. Das Cover der neuen CD des Fauré Quartetts ziert ein Apfel im gelben Warhol-Bananen-Siebdruck-Look. Apfel! Beatles und so! Das Album heißt Popsongs. Beatles-Lieder sind nicht darauf. Werke von Brahms, Dvorak oder Gabriel Fauré, dem Namensgeber des Ensembles, auch nicht.
Seit knapp 15 Jahren sammelt das Fauré Quartett Erfolge und Preise wie kein Klavier-Quartett zuvor. Der Pianist Dirk Mommertz, die Geigerin Erika Geldsetzer, der Bratschist Sascha Frömbling und der Cellist Konstantin Heidrich haben sich, ungewöhnlich für Kammermusiker, zwischen Gesangssolisten und Sinfonieorchestern in die Klassik-Charts hochgearbeitet. Mit Auftritten in Clubs und den Yellow Lounges ihrer Plattenfirma Deutsche Grammophon (auf die spielt der gelbe Cover-Apfel auch an) haben sie der Klassik ein neues Publikum erschlossen – oder es zumindest versucht.
„Aus der Kammer in die Clubs„, betitelte ZEIT ONLINE deshalb vor einem knappen Jahr ein Interview mit drei Vierteln des Quartetts. Und jetzt – mit Popsongs? Aus den Charts in den Konzertsaal und zurück? Nicht ganz. Das Quartett stapft nicht in die Falle, die auf jeden E-Musiker lauert, der sich in popularmusikalische Gefilde begibt: Es vertont keine Nummer-1-Hits, geht nicht auf die oft verhängnisvolle Gratwanderung zwischen Wiedererkennungswert und Das-Original-ist-aber-viel-besser-Verdammnis.
Der Produzent Sven Helbig, der die Songs ausgesucht und zum Teil auch arrangiert hat, pflückte sie laut Pressetext „rechts und links neben den Top Ten, auf den B-Seiten der Singles und in den dunklen Ecken der Alben“. Bei A-ha fand er And You Tell me, bei den Pet Shop Boys Dreaming Of The Queen, bei Ryan Adams Amy. N.E.R.D., Prefab Sprout, Steely Dan, John Cale, Beach Boys: Helbig, der die Dresdner Sinfoniker als Ensemble für zeitgenössische Musik gegründet, Polarkreis 18 und Rammstein produziert hat, weidet auf weitem Feld.
Helbigs Hauptkriterium bei der Auswahl war eine gewisse Zeitlosigkeit, wie er sagt: „Nachdem ich endlich 200 Songs ausgewählt hatte, musste ich einsehen, dass in vielen Liedern nicht nur die Musik entscheidend war, sondern unter Umständen auch der Sound ihrer Zeit, die Beats, die besondere Aura des Interpreten, Mode oder Design. All das kann man mit einer Gruppe wie dem Fauré-Quartett nicht adaptieren.“ Also suchte er Lieder, „die sich allein über Melodie, Akkorde und Text definieren“.
Letzterer allerdings fiel dann auch noch weg. Die Arrangements, die meist von den erprobten Helbig-Kollaborateuren Peter Hinderthür und Torsten Rasch stammen, bleiben liedhaft, ohne simpel zu sein, steigern auf dem Weg aus der Bandstruktur in die Quartett-Besetzung ihre Komplexität und behalten doch eine meist melancholische Leichtigkeit. Oft verlaufen sie nach einem Muster, das an das Bauprinzip des Sonatensatzes erinnert: Vorstellung von Strophen-Melodie und Refrain (Exposition), dann ihre verfremdete Verarbeitung (Durchführung), Rückkehr zum Song (Coda).
Dank Youtube & Co lassen sich ja auch die weniger bekannten Originale der klassifizierten Variante gegenüberstellen. Da zeigt sich, dass die Atmosphäre der Vorlagen in der Streicher-und-Klavier-Version erhalten bleibt, ja oft durch eine Spur Dramatik noch gesteigert wird. Schubert und Brahms zitiert der Pressetext als Säulenheilige; romantisch schwer fließt das warholbananengelbe Blut durch das Album.
Ein rhythmischer Kopfschüttler wie Chop Suey! von System Of A Down wird zu einer akkordsatten Tour de Force, die mit schrägen Dreiklängen auf spätromantische Experimente verweist. Our Mutual Friend von The Divine Comedy musste nicht groß umgeschrieben werden, schon das Original spielt Neil Hannons Band gern mit Streichern und Holzbläsern.
Und auch Don’t Change Your Plan von Ben Folds Five, einer klavierdominierten kanadischen Band der späten Neunziger, birgt mit seiner schwelgerischen Attitüde die Klassifizierung schon in sich: Bei allen Unterschieden des Ausgangsmaterials lässt sich meistens nachvollziehen, warum Helbig gerade diese Stücke ausgewählt hat. So ist ein abwechslungsreiches Album entstanden, das nie auseinanderfällt – dafür sorgt das Fauré Quartett mit gewohnter Professionalität und Spielfreude.
Apologeten der E-Musik allerdings dürfen sich bestätigt fühlen: Wenn die Arrangements auch das Niveau von Einspielungen wie The London Symphony Orchestra plays Michael Jackson weit übersteigt – an einen Schubert oder Brahms kommt hier nichts heran. Wie auch: Die Bands haben ihre Songs mit einem völlig anderen Ansatz geschrieben, es sind eben Songs, keine Lieder im Sinne der Romantik. Ein völlig anderes Genre also, das anderen Gesetzen gehorcht.
Wir lesen ja auch nicht Hamlet als Krimi, auch wenn darin reichlich gemordet wird, oder wollen einen Edgar Wallace als klassisches Drama inszeniert sehen. Wenn doch jemand derart die Genres überschreitet, dann ist das ein amüsantes Spielchen, unterhaltsam und, wenn es so gut gemacht ist wie beim Fauré Quartett, nicht ohne Erkenntnisgewinn für beide Genres, Pop und Klassik. Aber es wird keinen Schubertianer zu den Pet Shop Boys bekehren – oder umgekehrt.
„Popsongs“ vom Fauré Quartett erscheint am 30. Oktober bei Universal/Deutsche Grammophon.