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Hollywood

 

Das war Stoff für die ganz große Kinoleinwand. Michelle Obamas Auftritt war geradezu hollywoodreif. Die Gesten, das schüchterne Lachen, die Ernsthaftigkeit, die großen Emotionen, alles war perfekt, nichts fehlte.

Mit zwei Liebeserklärungen stimmte Amerikas First Lady die vielen Tausend Demokraten in der großen Basketballarena in Charlotte auf den Parteitag und die letzten beiden entscheidenden Monate des Wahlkampfs ein.

Die eine Liebeserklärung galt ihrem Mann, der sich unter dem Glanz wie unter der Bürde seines Amtes nicht verändert habe. Er sei immer noch der, in den sie sich einst verliebt habe, sagte sie, ein Mann der allen Menschen mit Respekt begegne und sich mit seiner ganzen Kraft dafür einsetze, dass es ihnen besser gehe. „Präsident zu sein, verändert dich nicht“, sagte sie unter großem Jubel. „Es legt offen, wer Du in Wahrheit bist!“

Die andere Liebeserklärung richtete sie an ihr Land, das es ihrem Mann ermöglicht habe, Präsident zu werden. „Das Unmögliche zu tun“, so Michelle Obama, „macht die Geschichte unserer Nation aus. Es zeigt, wer wir sind.“

Kein Wort über Romney

Mit keinem Wort erwähnte sie den republikanischen Herausforderer ihres Mannes. Der Name Mitt Romney fiel nicht ein einziges Mal. Gleichwohl war er von Anfang bis Ende dabei, war er Ziel und Resonanzboden dieser Rede. Fast alles, was Michelle Obama sagte, war auf Romney zugeschnitten.

Sie zollte den Soldaten und ihren Familien Tribut, was Romney auf seinem Parteitag in der vergangenen Woche in Tampa fahrlässiger Weise versäumt hatte. Sie porträtierte ihren Mann unermüdlich als einen Kämpfer für Frauenrechte – und setzte damit einen Kontrapunkt zu Romney, dem viele Frauen nicht über den Weg trauen. Und minutenlang erzählte Michelle Obama vom bescheidenen, einfachen Leben in ihrer Kindheit und in der Kindheit ihres Mannes und präsentierte damit das Gegenbild zur reichen und in Watte gepackten Familie Romney. „Erfolg“, sagte sie, „bemisst sich nicht nach deinem Geldbeutel.“

 

Es ist noch eine ziemlich junge amerikanische Tradition, dass Präsidentengattinen auf Parteitagen mit einer eigenen Rede ihre Männer schönmalen. Die erste, die das prominent tat, war vor 20 Jahren Barbara Bush, die Ehefrau von George H. Bush, dem 41. Präsidenten und Vater von George W. Bush. Seither ist es ein Ritual, und die Frauen haben die Aufgabe, die menschlichen Seiten ihrer Männer hervorzukehren. Es gibt keine Studien darüber, ob diese Reden irgendetwas bewegen. Die meisten Demoskopen bezweifeln, dass sich Wähler von diesen Auftritten beeinflussen lassen. Trotzdem setzen sie oft den Ton für die Parteitage.

Beschimpfungen von einst sind vergessen

Wie Ann Romney, so hat jetzt auch Michelle Obama diese Pflicht geradezu vorbildhaft ausgeübt. Sie ist darin bereits geschult. Längst ist sie ein politischer Rockstar aus eigenem Recht. Weil sie in allem, was sie sagt und tut, authentisch wirkt, fliegen ihr die Herzen zu.

Das war nicht immer so. Vor rund vier Jahren wurde sie wegen einiger Bemerkungen als „unamerikanisch“ und „unpatriotisch“ beschimpft. Michelle Obama hatte mit Blick auf die dunklen Kapitel der amerikanischen Geschichte gesagt, ihr Land könne manchmal „böse“ sein. Und ein anderes Mal meinte sie, die große Unterstützung für ihren Mann mache sie „zum ersten Mal“ richtig „stolz“ auf ihr Land. Zum ersten Mal? Einige mochten sich über diesen Satz nicht beruhigen. Doch das ist inzwischen Vergangenheit, jetzt genießt die First Lady schwindelerregend hohe Beliebtheitswerte.

Schauspiel in vier Akten

Bereits zum Auftakt des Parteitages boten die Demokraten ein Feuerwerk an mitreißenden Reden auf und setzten gezielt scharfe Angriffe auf Mitt Romney. Die Dramaturgen präsentierten ein bis ins letzte Detail geplantes Schauspiel in vier Akten: Erst waren die Frauen das Thema, dann die Soldaten im Irak und in Afghanistan, schließlich die Gesundheitsreform und die Rettung der Autoindustrie.

Wie schon bei Romney in Tampa so treten auch bei den Demokraten in Charlotte viele Latinos auf. Denn sie werden bei der Präsidentschaftswahl am 6. November das Zünglein an der Waage sein. Der prominenteste Platz wurde dabei Julián Castro eingeräumt, dem erst 37-jährigen Bürgermeister von San Antonio in Texas. Er durfte unmittelbar vor Michelle Obama sprechen.

Der Latino, dessen Vorfahren aus Mexiko stammen, gilt als neuer Star der Demokraten. Nicht nur weil er wohl eine ziemlich gute Stadtpolitik macht und San Antonio bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Sondern weil er auch ein Redetalent ist – und dazu selbstironisch und witzig. Manche meinen darum ein wenig vorschnell, er habe das Zeug zum Präsidenten. Sie zeigen auf Barack Obama, der ebenfalls mit einer feurigen und zu Herzen gehenden Rede auf dem Parteitag 2004 die Grundlage schuf für seinen Aufstieg ins Weiße Haus. Doch wenn es allein danach ginge, wäre Michelle Obama die nächste Anwärterin.