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Briefe über Deutschland (2)

 

Lieber Rich,

an den Pulli erinnere ich mich gut. Ich sah darin aus wie ein dünner Genscher junior. Von Herrn Westerwelle nimmt man hier in Kanada überhaupt keine Notiz. Sicherlich kein gutes Zeichen für einen Außenminister. Der Star ist die Kanzlerin, und sie ist so ziemlich die einzige Repräsentantin Deutschlands, von der in der Presse ab und zu mal die Rede ist. Im Moment hauptsächlich im Bezug auf die griechische Finanzkrise; dabei kommt ihre feste Haltung bei den Kanadiern nicht gut an.

Glücklicherweise machen sie hier kein großes Aufheben um das Privatleben von Politikern. Im sonst für liberal gehaltenen Québec war die Homosexualität eines Premierkandidaten zwar vor ein paar Jahren mal Thema – aber es gibt hier kaum Boulevardblätter, so haben die Politiker eine gewisse Ruhe. Damit ein ausländischer Politiker hier wahrgenommen wird, braucht er schon eine Frau vom Schlage einer Carla Bruni. Ansonsten schauen die Kanadier vor allem nach innen. Außenpolitik und Interesse an den Geschehnissen anderer Länder sind auf einem Tiefpunkt der öffentlichen Wahrnehmung angelangt.
Da müsste sich Herr Westerwelle kräftig ins Zeug legen, und mit Hartz-IV-Provokationen wird er es hier nicht weit bringen.

Das begrüßt Dein Julian

Im wöchentlichen Wechsel schreiben sich hier Julian Lee, 30, Umweltberater aus Montreal, und sein Stiefvater
Friedrich Engelke, 68, Physiker aus Villingen