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Briefe über Deutschland (3)

 

Lieber Julian,

wer nicht über den Tellerrand schaut, der hält sich rasch für den Nabel der Welt. So klingt Dein Brief über Kanada. Für eine kurze Zeit nach 1990 war Deutschland ebenfalls auf sich fixiert. Doch dann besann es sich. Heute versucht Deutschland, seine Identität mehr im Blick nach außen zu finden. Uns ist wichtig, was in Paris, Washington, London und Moskau über uns und die Welt gedacht wird.

Vergessen wir nicht, dass Deutschland das letzte Jahrhundert in Europa über weite Strecken dominierte. Unsere Nachbarn lernten den Koloss der Mitte zu fürchten. Heute sind wir erneut die stärkste Macht Europas ­ und doch ein fundamental verändertes Land: Sogar die wiedererlangte Souveränität wollen wir auf supranationaler Ebene mit unseren Nachbarn teilen. Wir wissen, dass man ein wohlhabendes, angesehenes und zufriedenes Mitglied der internationalen Gemeinschaft sein kann, ohne dabei überkommene Vorstellungen von nationaler Eigenständigkeit und Ruhm nachzuhängen.

Ein neuer Ton herrscht in unserem Land. Muss man fremde Ohren haben, um ihn zu hören? Biederes überdauert, seine neue Form ist „Wir kriegen das hin“ und „Ich sag das mal so“. Etwas Ungewohntes: Selbstironie. Liebevolle Distanz zu sich selbst verrät Selbstbewusstsein. Eine Ewigkeit war das wahrlich nicht unsere Stärke,

meint Dein Rich

Im wöchentlichen Wechsel schreiben sich hier Friedrich Engelke, 68, Physiker aus Villingen, und sein Stiefsohn Julian Lee, 30, Umweltberater aus Montreal