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Lachend durch die Aschewolke

 

Er hat viel zu tun, die Fahrgäste nehmen den Trubel gelassen. © Andreas Rentz/Getty Images

Zugreise von Genf nach Berlin, in den Zeiten der Aschewolke. Da meine grüne Tochter mich gut erzogen hat, wollte ich von vornherein mit der Bahn fahren. Und ich bekam den Lohn der Tugend. Ausgeschlafen auf meinem guten Gewissen machte ich mich auf den Weg, und bis Basel war die Welt auch noch in Ordnung. Ja, und dann stürmten die Massen den Zug, all die bösen Flieger, die nun Bahn fahren mussten: Geschäftsleute auf Heimaturlaub, Leute, die ihr Kreuzfahrtschiff erreichen wollten.

Nur in Indien hatte ich Ähnliches gesehen. Nur, dass sich hier niemand außen dran hing, was beim ICE ja auch schlecht geht. Binnen Sekunden war jeder Sitzplatz besetzt, 1. Klasse hin oder her. In den Gängen standen die
Menschen nicht, nein: Wildfremde Leute saßen einer auf dem Schoß des anderen. Dann brach wegen Überbeanspruchung die Funktion aller Toiletten im nächsten Waggon zusammen. Passagiere kämpften sich mit zusammengekniffenen Beinen durch den Tumult zu den letzten funktionierenden Klos.

Und dann passierte etwas sehr Schönes: Die Mehrheit der Passagiere beschloss, das alles erstens als Party zu nehmen und zweitens einander zu helfen. Da wurde ein in der Zugtür eingeklemmter Teddy gerettet, ein weinendes Kind über alle Schultern hinweg seiner Mutter zugeführt, eine alte Dame zur Toilette geleitet. Es brach eine wunderbare Anarchie aus, einer überbot den anderen mit absurden Geschichten. Wann fuhr jemals ein lachender ICE durch die deutschen Lande?

Ingrid Lewis, Berlin