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Gute Noten statt Empathie

 

Ich bin Schülerin eines Gymnasiums, Abiturjahrgang. Es ist keine schlechte Schule, in den letzten Jahren konnten erstaunlich viele Schüler mit passablen Ergebnissen die Schullaufbahn hinter sich bringen. In wenigen Wochen gibt es Abiturzeugnisse. Ausgabe im Juni.

Es kostet einige Überwindungskraft, in den ersten beiden Stunden Reli seiner Anwesenheitspflicht nachzukommen, aber schließlich setzen sich an einem Freitagmorgen dreißig Oberstufenschüler zusammen, um über die Frage nach dem Leid in der Welt zu diskutieren. Das Leid anderer Menschen gehe uns überhaupt nichts an. Man müsse es halt akzeptieren. Den Betroffenen von Haiti gehe es überhaupt nicht so schlecht, sie seien Leid doch gewohnt. In Burma habe die Regierung vor zwei Jahren Hilfeleistungen untersagt, weil die Menschen darum gebeten hätten, mit ihrem Leid selbst klarkommen zu dürfen. Hilfe sei okay, aber dafür seien wir ja nun wirklich nicht verantwortlich. Zustimmendes Nicken. Ein, zwei Versuche, sich zu empören.

Etwas später erhalten die Ersten von uns ihre Noten der schriftlichen Abiturprüfungen. Alle ziemlich gut, da kann man nichts sagen. Bestens ausgebildete Schüler werden im Juni die Schule verlassen und Deutschlands Zukunft sein. Aber irgendwas fehlt.

Esther Then, Langen