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Ich bin mehr indie als du!

 

© gregor.kiosk / photocase.com

Egal, ob bei der Musik, beim Schreiben, bei der Mode oder in der Kunst, überall muss man individuell sein. Wer möchte denn noch zum Mainstream gehören? Musik aus dem Radio ist jetzt „uncool“, weil das ja jeder hört.

Cool ist, sich Musik aus dem Netzt zu ziehen, irgendwas, was sonst keiner hört, von irgendeiner Band oder einem Künstler, den keiner kennt. Man rennt nicht mehr zu Justin-Timberlake-Konzerten, die nach einem Tag ausverkauft sind, nein, man kauft sich für fünf Euro Konzert Karten von irgendeinem unbekannten Newcomer, der in der letzten Bruchbude im Westend auftritt und bei dessen Konzert man mit fünf weiteren Fans, die ebenfalls den Unbekanntheitsgrad des Künstlers genutzt haben um individuell zu sein, vor der Bühne tanzt, und warum? Um sich vor der ganzen Masse da draußen, von denen, die Lady Gaga und die Black Eyed Peas hören, kurz gesagt, vom Mainstream abzusondern.

Vielleicht gefällt einem die Musik des Künstlers, vielleicht auch nicht. Falls sie einem gefällt, versucht man auf jeden Fall mit allen Mitteln vor allem eins zu erreichen: Ihn unbekannt bleiben zu lassen! Mainstream ist, was bekannt ist.

Vor 10 Jahren war das noch ganz anders. In der Grundschule sprachen wir über Britney Spears und Shakira und über die Backstreet Boys. Wer den Refrain von Britneys neustem Hit auswendig konnte, ohne auch nur ein Wort davon zu verstehen, war cool. So einfach war das. Internet kannte man damals noch fast gar nicht und wäre man mit irgendeinem unbekannten Sänger angekommen, wäre man bei den Freundinnen bestimmt nicht auf Bewunderung gestoßen. Es hätte sich schlicht keiner für den armen Gitarrenspieler mit der einzigartigen Stimme aus Londons hintersten Gasse, der rein zufällig von irgendeinem Musikmanager entdeckt wurde, interessiert.

Selbst beim Weggehen achtet man darauf, so alternativ wie möglich zu sein. Alternative Jugendliche gehen in München nicht zur Partymeile am Ostbahnhof, man geht nicht in die Nachtgalerie oder in die Kultfabrik, denn dort sind nur Proleten und es läuft scheiß Radiogesäusel. Man geht in die Szeneviertel. Viertel wie Schwabing sind out, denn man möchte nicht zu dem neureichen Partyvolk gehören, das Samstagabends das P1 oder das 8 Seasons mit ihren Zehn-Zentimenter-Heels und ihren Gucci-Täschchen unsicher macht und, sollte man zum männlichen Geschlecht gehören, sich mit 20-Liter-Vodka-Flaschen ablichten lässt und schmierige Frisuren mit Seitenscheitel trägt.

Nein, man geht lieber mit Gleichgesinnten in Haidhausen weg, oder im Glockenbachviertel. Dabei versucht man so unaufgestylt wie möglich auszusehen. Man trägt Chucks oder Sneaker, Karohemden und löchrige Jeans und Frisuren, die so aussehen, als sei man gerade aufgestanden.

Und nun? Gefällt es einem jetzt oder nicht? Liegt es an der Generation oder einfach nur an dem erwachsener werden, dass sich Kult plötzlich von Mainstream in Independent gewandelt hat?

Tabea Kernert , München