An einem ganz normalen Morgen im Zug von München Richtung Frankfurt: laut telefonierende Menschen um mich herum und andere, die wild auf Laptop- und Blackberry-Tastaturen einhacken. In der Sitzreihe vor mir erzählt ein Herr am Telefon von besoffenen Geschäftsleuten und anderen Nebensächlichkeiten. Der Zugchef begrüßt uns freundlich auf Deutsch und Englisch, aber der Schein der nahezu vollkommenen Normalität währt nur eine gute halbe Stunde. Da informiert uns der Zugchef nämlich über eine Strecken-Vollsperrung zwischen Ingolstadt und Nürnberg. Der Herr vor mir telefoniert schon wieder. „Das kann ja nur heißen, dass sich einer vor den Zug geschmissen hat“, kommentiert er und informiert seinen Gesprächspartner sogleich über die Umleitung des Zugs und dass er zu spät ankommen werde. In Nürnberg eine neuerliche Durchsage: Jetzt wird ein Arzt im Zug gesucht. Und gleich darauf die Information, ein Fahrgast müsse versorgt werden, man warte auf einen Notarzt. Genervtes Raunen, Stöhnen und Augenrollen um mich herum. Auch ich kam mit einer knappen Stunde Verspätung ins Büro in Würzburg. Aber ganz ehrlich: Wenn ich im Zug zusammenklappen würde, fände ich es auch ganz nett, wenn man mich nicht auf dem Bahnsteig parken würde, bis der Notarzt kommt. Und was ist schon eine Stunde Verspätung gegen den Gedanken, dass irgendwo zwischen Ingolstadt und Nürnberg ein Mensch so verzweifelt war, dass er sich umbringen wollte? Und gegen den Schock, den der betroffene Lokführer wahrscheinlich erlitten hat?
Daniela Kern, Würzburg