Ich wohne in Lieblos. Und immer, wenn ich mit der Bahn unterwegs bin, muss ich die dummen Kommentare der Schaffner über mich ergehen lassen: „Lieblos, gibt’s das wirklich?“. Oder: „Lieblos, sind die da alle so?“ Manchmal sage ich dann: „Ja, ich bin dort sogar geboren, stellen Sie sich vor!“, und möchte noch erklären, dass meine Mutter mich durchaus liebevoll erzogen hat. Aber der Kartenfuzzi ist bereits ein Abteil weiter.
So schnell wird man ungewollt zum Repräsentanten eines Ortes, eines Berufsstandes oder sonst einer Kaste. Wie könnte ich „mein“ Lieblos verteidigen? Durch die Gemeindereform, die den zwischen Frankfurt und Fulda liegenden Ort mit fünf anderen zu „Gründau“ zusammengefasst hat? Oder soll ich mich damit trösten, dass einige Orte in der näheren Umgebung noch schlimmer dran sind? Wer möchte sich im Zug schon für Eidengesäß oder Linsengericht entschuldigen! Nein, da bekenne ich mich lieber tapfer zu meiner Liebloser Heimat: Die Menschen hier sind engagiert, mitfühlend, liebevoll und kulturell aktiv. Außerdem vermutet man, dass der Name des Ortes von dem seines Gründers kommt: In der ersten urkundlichen Erwähnung 1173 stand noch „Libelas“. Aber erklären Sie das mal einem Kartenkontrolleur, der auf eine Pointe erpicht ist!
Bernd Hofmann, Lieblos