Wir haben Besuch von Verwandten aus der Normandie. Ich möchte ihnen etwas Schönes bieten, und wir zuckeln mit dem Panoramazug durch das romantische Lahntal von Bad Ems bis Limburg. Doch von Station zu Station schäme ich mich mehr: über den Zustand der Bahnhöfe in unserem Land, die ich als Autofahrerin seit vielen Jahren nicht mehr wahrgenommen habe. Einst waren es schmucke Gebäude, oft architektonische Kleinode. Es gab Blumenkästen vor den Fenstern, kleine Zäune, frisch gewaschene Gardinen. Vorbei! Auch die wuchtigen Bauwerke des 19. Jahrhunderts, oft nur gebaut, weil der Kaiser einmal zu Besuch kam: Alle sind sie verkommen, verdreckt, Fenster und Türen mit Brettern vernagelt, verhökert von der Bahn. Ein Bild des Elends. Hie und da tut hinter einer schiefen Jalousie und einem seit Jahren nicht mehr geputzten Fenster noch ein unsichtbarer Mensch seinen trostlosen Dienst. Ein handgeschriebener Zettel, mit vergilbten Klebestreifen hinter der Scheibe befestigt, macht darauf aufmerksam, dass es Fahrkarten woanders zu kaufen gibt. Wir sollten öfter das Auto stehen lassen, um zu bemerken, wie es in diesem Land inzwischen aussieht. Die Autobahnen blitzen vor neuem Blech– und entlang den
Bahnstrecken sieht es so schrecklich aus.
Leonore Weissenburger, Fachbach, Rheinland-Pfalz