Gestern, in meinem Minisupermarkt um die Ecke, habe ich eine kleine, gepflegt aussehende, alte Frau gefragt, ob ich ihr helfen könne. Sie stand mit ihrem Einkaufswagen suchend an den Brötchenschubfächern, aus denen du die Brötchen mit der Zange herausfischen musst, und fand die Tüten nicht. Ich gab ihr eine, und sie sagte: „In meinem Alter, wissen Sie, da ist es eben nicht mehr so gut mit den Augen.“ – „Ach, das geht auch jüngeren so mit all dem Vielen…“ hab ich gesagt. – „Nun“, sagte sie, „aber ich werde bald 100.“ – „Was!?“ hab ich gefragt. – „Ja, am 29. Dezember 1910 bin ich geboren.“ – Ich konnte es nicht fassen! – Wir haben am selben Tag Geburtstag, und gegenüber dieser bald Hundertjährigen kam ich, 1951 geboren, mir plötzlich vor, als sei ich gerade mal aus der Pubertät heraus. – Aufrecht stand sie; mit klaren Augen schaute sie mich an; weder Stöcke noch Rollator hatte sie dabei. Und auch der Abschiedsgruß hat mir gefallen: „Werden Sie alt, junge Frau, und gesund!“
Christa Frontzeck, Berlin