1965 lebte ich in Ost-Berlin. Wenige Kilometer entfernt begann West-Berlin und war doch für uns wie ein fremder Planet. Damals fotografierte ich den Platz vor dem Brandenburger Tor. Sowjetische Soldaten bewachten die Absperrung am Niemandsland vor der Mauer. Trotz ihrer fast lässig wirkenden Haltung spürte ich Angst und blieb daher beim Fotografieren in sicherer Entfernung.
Im Herbst 2010 reiste ich nach Berlin und machte von der gleichen Stelle aus ein neues Foto. Das öde Sperrgebiet, das zu DDR-Zeiten keiner betreten durfte, ist heute ein belebter Platz, über den Touristen schlendern. Sie laufen durch das Brandenburger Tor, als sei das ganz selbstverständlich. Wie anders die Atmosphäre 45 Jahre zuvor: Beängstigende Leere, über der Quadriga weht die DDR-Flagge, Adler und eisernes Kreuz sind entfernt, das Brandenburger Tor steht in unerreichbarer Ferne. Wie glücklich bin ich über den Zeitsprung, den die zwei Fotos dokumentieren.
Ruth Stiegel, Neu-Ulm