… aus traurigem Anlass unternimmt Sabine Kröner, 55: Im vergangenen Jahr ist ihr Mann in den Freitod gegangen, jetzt will sie durch neue Eindrücke Abstand gewinnen. Sie ist nach Buenos Aires geflogen und fährt jetzt per Schiff in Richtung Südsee, Australien, Indonesien, Malaysia, Myanmar, Indien, Arabien – bis nach Venedig. Hier berichtet sie von ihrem ersten Tag an Bord.
Da der Mensch trotz Reisestress, Klima- und Zeitunterschied nicht unendlich lange schlafen kann, komme ich auf dem inzwischen gen Puerto Madryn fahrenden Schiff in den Genuss eines beeindruckenden Sonnenaufgangs. Es ist halb sechs, als ich am Pooldeck sitze und sich der glutrote Feuerball am Horizont erhebt. Das Schiff gehört mir – bis die ersten Schwimmer auftauchen. In einem Pool von etwa zwölf Meter Länge muss man eine ganz besondere Technik entwickeln: Entweder man wechselt bei der Wende zwischen Brust und Rücken, oder man schwimmt im Kreis. Ersteres geht, zu Letzterem fehlt mir die Kurventechnik. Gegen acht sind dann die ersten Geher und Jogger erwacht und drehen emsig ihre Runden um das vordere Pooldeck. Aber ihr Radius ist ziemlich begrenzt. Ich beschließe, künftig dem Laufband im Fitnessraum den Vorzug zu geben. Inzwischen gibt es Kaffee, und ich blinzle in die ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Ist schon ein Wahnsinn, nach Wochen in Eis und Schnee nun hier zu sitzen, umgeben vom türkisfarbenen Atlantik! Der Duft von Bratwürstchen und Spiegelei lockt meinen knurrenden Magen ans Büfett. Noch ist es ruhig hier, doch die Schlacht lässt nicht lange auf sich warten. Etwas später an diesem Tag begreife ich dann, dass ich auf diesem Schiff antizyklisch werde vorgehen müssen: Menschenmassen halte ich nicht mehr aus. Also meide ich tagsüber das Pooldeck, denn da gleicht es einer Robbenkolonie. Eine Etage tiefer gibt es kein Sonnensegel. Mich stört das nicht, da ganz gut pigmentiert. Und hier bin ich für mich allein. Nun freue ich mich auf meinen ersten Landgang auf den Falklandinseln.
Sabine Kröner, zzt. 40° 53’ Süd, 060° 43’ West