… aus traurigem Anlass unternimmt Sabine Kröner, 55: Im vergangenen Jahr ist ihr Mann in den Freitod gegangen, jetzt will sie durch neue Eindrücke Abstand gewinnen. Sie ist nach Buenos Aires geflogen und ist per Schiff auf die Falklandinseln und an die Südspitze Amerikas gefahren. Weiter geht es durch die Südsee nach Australien, Indonesien, Südostasien, Indien und durch den Sueskanal bis nach Venedig.
Unsere Ankunft in Ushuaia ist für sieben Uhr morgens geplant. Ich stehe pünktlich auf dem Pooldeck und werde von einem grandiosen Panorama empfangen: blauer Himmel, schneebedeckte Berge, glitzernder Atlantik, Schiffe und bunte Häuser. Ein unheimliches Glücksgefühl durchflutet mich und macht die zehn Grad Celsius unspürbar. So sieht es also aus, das „Ende der Welt“, auf dem ich so oft schon mit dem Finger auf der Landkarte war. Ich fotografiere wie besessen, denn das Licht ist genial. Plötzlich ein Regenschauer aus einer kleinen Wolke, und ein Regenbogen überspannt die Bucht – welch ein Zauber der Natur!
Später besteigen wir die bereitliegenden Katamarane, um ein Stück weit in den Beagle-Kanal hineinzufahren. Die Stimme aus dem Lautsprecher informiert uns über Stadt und Natur. Die kleine Ansiedlung wurde bis 1947 von den Gefangenen der Strafkolonie versorgt, heute befindet sich in dem Gebäude ein Museum. „Ushuaia“ entstammt der Sprache der Indianer und bedeutet „die Bucht, die nach Westen schaut“. Der Kanal, der ursprünglich ein Fjord war, trennt auf 185 Kilometer Länge Argentinien von Chile und verbindet den Atlantik mit dem Pazifik. Vom Wind gekrümmte Bäume säumen die Ufer. Auf kleinen Inseln tummeln sich Seelöwen und Kaiserkormorane, im Wasser schwimmen riesige Algen, über uns drehen Sturmvögel, Seeschwalben und Albatrosse ihre Runden. Stumm, fast andächtig genieße ich dieses Schauspiel der Natur. Meilenweit öffnet sich mein Herz. Ich bin angekommen in der großen weiten Welt. Meine Tränen sind Freudentränen. Schade nur, dass ich sie hier und jetzt mit niemandem teilen kann.
Sabine Kröner, zzt. Ushuaia