Der Sohn des Polykrates
(nach Schiller: „Der Ring des Polykrates“)
Er trat auf den Balkon von drinnen
Und schaute mit vergnügten Sinnen
Auf zwei gekühlte Türme hin.
„Es ist nun nicht mehr störanfällig,
das AKW, und nicht gefährlich“,
sprach er und nahm sich einen Gin.
„Die Strahlung kann nicht mehr entweichen,
Beton und Stahl sind dick und reichen.
Im Notfall schaltet es sich aus.
Und will man es mit Macht zerstören,
mit Flugzeug, Bomben und Gewehren,
der Mantel hält das spielend aus.“
„Und wenn“, sprach nun der Sohn zum Vater,
„ein Beben kommt, ein neuer Krater?
Gibt es dafür auch Garantie?“
„Man kann die Angst auch übertreiben,
darüber sollt’ man besser schweigen.
Wir brauchen Strom und Energie.“
„Und wenn“, fragte der Sohn nun leiser,
„die Kühlung stoppt und es wird heißer?
Schmilzt nicht der ganze Kern dahin?“
„Ach, Sohn, du machst dir zu viel Sorgen!
Denk doch an heute, nicht an morgen“,
sprach er und nippte kurz am Gin.“
Albrecht Gralle, Northeim