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Vater geht

 

Ich sitz an seinem Bett und spüre ihn gehen. Jeden Tag ein wenig mehr. Der Hoffnung gehe ich nicht mehr auf den Leim. Ich weiß, dass es Abschied nehmen heißt.

Er stöhnt und ächzt. Seine Lunge lässt ihn im Stich. Bis vor ein paar Tagen wollte er noch leben. Hat zaghaft von einer Zeit nach dem Krankenhaus gesprochen. Damit hat er aufgehört. Er will nicht mehr, will seinen Frieden. „Kümmert euch um eure Mutter.“ Schwer kommen die Worte über seine Lippen. Wir nicken, würden in diesem Moment alles versprechen. Ich sehe meinen Bruder weinen. Das erste Mal. Ich habe ein tiefes und warmes Gefühl. Ich weiß, er liebt ihn genauso wie ich.

Die weißen Wände der Intensivstation sind wenig tröstlich. Auf den Besucherstühlen schmerzt der Rücken. Das Sauerstoffgerät säuselt vor sich hin. Ich nicke immer wieder ein. Wie selbstverständlich war er mein ganzes Leben um mich. Nun ist es für ihn selbstverständlich, dass ich bei ihm sitze und seine Hand halte. Diese Hände, die ich zärtlich streichle. Ich habe sie immer so gerne angesehen. Wenn er mir früher einen Apfel schälte.

Ich schaue aus dem Fenster. Frühling. Es ist schon warm. In Vaters Garten blühen die Frühlingsblumen. Er liebt seinen Garten. Das habe ich von ihm. Wir wollten gemeinsam eine neue Terrasse bauen. Er sollte noch ganz viel in seinem Garten sitzen. Wir haben es nicht mehr geschafft. Der Tod will dieses Rennen gewinnen. Er lässt ihn gewähren. Bald wird er durch einen neuen Garten gehen, voll Sonne und Licht. Die klare Frühlingsluft wird ihn erfüllen. Dann wird er an uns denken.

Und ich werde ihm berichten. Von den Kindern, den Freunden, dem Fußballverein, von mir, von meinem Garten. Postkarten aus meinem Leben. Wie Blitzlichter tauchen Bilder in mir auf. Schöne Bilder. Bilder einer glücklichen Kindheit. Er wird mir fehlen.

Er hustet schwer. Sein Gesicht verzieht sich im Schmerz. Ich klingle nach der Schwester. Er soll keine Schmerzen haben. Vater geht. Aus dieser Welt, nicht aus meinem Leben.

Karin Kricsfalussy, Langenfeld, Rheinland