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Wiedergefunden: Der Stimmzettel

 


Ich glaubte ihn schon verloren, vergebens hatte ich mehrfach danach gesucht. Aber als ich jetzt die Briefe meines Vaters aus den Jahren 1960/61 ordnete, in denen er darüber berichtete, wie schwer es meinen Eltern gefallen war, als sie in die LPG, die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, »freiwillig« eintreten mussten – da fiel er mir unverhofft entgegen: der Stimmzettel zur ersten Einheitswahl am 15. Oktober 1950. Als 15-Jähriger war ich in meinem Heimatdorf Brüchau im Kreis Gardelegen abends zur Stimmenauszählung in die Gastwirtschaft gegangen und hatte entrüstet dabei zugesehen, wie durchgestrichene Wahlzettel als Jastimmen gezählt wurden. Als die »Zähler« sich über die beschriebenen Scheine beugten, hatte ich mich an den Tisch gesetzt und heimlich diesen Stimmzettel eingesteckt. In mein Tagebuch hatte ich geschrieben: »Tag der Trauer u. der Demütigung; Zählung: Beschupp bei mind. 20 Stimmen: 160+67–«. Aber in der Kreisstadt wurde dann wohl noch mal verbessert, denn das Ergebnis der Wahl in Sachsen-Anhalt ergab nur 0,2 Prozent Gegenstimmen und 0,2 Prozent ungültige Stimmen.


Manfred Gause, Bismark (Altmark), Sachsen-Anhalt