»Oma, hattest du einen Freund, als du so alt warst wie wir?«, fragen meine pubertierenden Nichten meine Mutter beim Sonntagskaffee. meine Mutter ist 81 Jahre alt und im Kriegswinter 1945 von Schlesien ins Münsterland geflüchtet. »Mein liebster Freund war ein Schulkamerad namens Friederich Menke aus unserem Nachbardorf in Schlesien«, antwortet meine Mutter und holt aus ihrer Erinnerungsschublade ein winziges, vergilbtes Foto mit einem noch winzigeren Kerlchen mit roter Zipfelmütze.
Gedankenverloren erzählt sie von diesem Freund, den sie am Abend vor der Flucht das letzte mal gesehen hat. Traurig vermutet sie, dass der Junge wohl damals ums Leben gekommen sei. Einige Wochen später meldete sich meine mutter völlig aufgelöst bei mir: »Du kannst dir nicht vorstellen, wer mich gerade angerufen hat: Friederich Menke aus Schlesien.«
Ich war tatsächlich sprachlos. Wie konnte der Jugendfreund nach 66 Jahren auf einmal anrufen? Doch die Lösung ist ganz einfach. mein Bruder, der das Gespräch verfolgte, hatte den Namen im Internet ausfindig gemacht. Der Mann wohnt nur 100 Kilometer entfernt, und ein erstes Treffen, welches uns alle tief berührte, fand kurz nach dem Telefonat statt.
Barbara Specht, Münster