Die vergangene Konzertsaison hat mir beglückende Eindrücke beschert. Getrübt wurde das Glück allerdings – wieder einmal – durch Begleiterscheinungen, die mit dem Verhalten eines großen Teils des Publikums zu tun haben.
So hebt, sobald der letzte Ton eines Satzes verklungen ist, ein ungehemmtes Räuspern, Husten und Schneuzen an, das an ein Lungensanatorium erinnert und mich, der ich gerade in überirdischen Gefilden schwebe, unsanft auf den Boden zurückholt. Dieses kollektive Ritual, dessen Sinn darin zu bestehen scheint, nur ja keine Stille aufkommen
zu lassen zwischen den von der Partitur vorgegebenen Pausen, hat nichts zu tun mit Grippewellen oder Novembernebeln, denn es ist im gleichen Maße auch im Hochsommer zu beobachten. Ähnlich ärgerlich ist der häufig unmittelbar nach dem letzten Ton eines Konzerts einsetzende Schlussapplaus, der, zusammen mit lauten
„Bravo“- und sonstigen Jubelrufen an die Geräusche erinnert, die ein Torschütze auf dem Fußballplatz auslöst. Immer häufiger sind es auch die Dirigenten, die nicht begriffen zu haben scheinen, dass zu den Tönen der Musik auch Stille gehört, damit das Gehörte in Ruhe nachklingen und seine Wirkung auf Seele und Gemüt entfalten kann: Noch im Schlussakkord lassen sie den Taktstock schwungvoll sinken, wenden sich abrupt von Orchester und Chor (und damit von der Musik) ab und dem Publikum zu, um in Siegerpose den stürmischen Jubel einzufordern. Lautstärke und Dauer des Schlussapplauses scheinen für viele Konzertbesucher und auch so manchen Dirigenten wichtiger zu sein, als das, was Musik in den Zuhörern auslösen kann.
Wolfgang Fischer, München