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Hier ist Afrika (4)

Nach drei Stunden Warten bewegt sich der Bus endlich vom Fleck. Zwei Minuten später allerdings stirbt der Motor ab. Der Fahrer öffnet die Klappe im Boden neben seinem Sitz und guckt verzweifelt ins Getriebe. Schließlich steigen alle in einen anderen Bus, der eilig aus dem Depot herbeigebracht worden ist. Ein zerfleddertes Ding! Die Verkleidung klafft mir offen entgegen. Bei jedem Schlagloch und jeder Bewegung meines Vordersitznachbarn scheppert und knirscht der angeknackste Boden und biegt sich unter meinen Füßen nach oben. Der Fahrer rast wie ein Besessener. Ich habe böse Visionen: sich überschlagen, umkippen, mit der ganzen Kiste durch die Luft fliegen. Wenn der Fahrer die Kontrolle verliert, hab ich keine Chance. Keinen Gurt, keine Knautschzone, gar nichts. Gebrochenes Genick. Amputierte Beine… Meine Obduktion würde zutage fördern, dass ein schinkengefülltes Blätterteigteil (ein seltener Luxus aus der Boulangerie) meine letzte Mahlzeit war.

Kamerun © ZEIT Grafik

Plötzlich eine Polizeikontrolle. Der Fahrer muss aussteigen. Wir warten, schauen uns fragend an, dann begreifen wir das Unglaubliche: Dieser Fahrer ist betrunken! Ich mochte es auch nicht, dass er sich dauernd umdrehte und mit den Leuten auf den Sitzen hinter ihm quatschte oder aus dem Seitenfenster guckte statt nach vorn. Ich denke daran, was in Europa mit ihm geschehen würde. Aber ich bin in Kamerun. So weisen die Polizisten ihn an, eine Strecke zu rennen, um Alkohol abzubauen. Er trabt langsam dahin. Alle glotzen grinsend. Dann steigt er wieder ein und rast weiter. Und nach zwölfeinhalb Stunden sind wir endlich am Ziel – 400 Kilometer weit gefahren.

Seit fast zwei Jahren lebt Tabea Müller, 37, im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Hier erzählt sie jede Woche über den Alltag im Inneren Afrikas.

 

Hier ist Afrika (3)

Eine Nachbarin hat ihr drittes Kind bekommen, ein süßes Mädchen namens Joy. Neben den sogenannten englischen Namen, welche meist biblische sind, wie Elizabeth, Ruben, Jeremiah oder Abigail, kriegen die Kinder oft noch einen traditionellen Namen, meist den der Großeltern. Sehr beliebt ist es aber auch, die Kinder „Freude“, „Geduld“, „Schicksal“, „Liebe“ oder „Genügsamkeit“ zu nennen. Wir also haben eine kleine Freude nebenan. Und dann wird bornhouse gefeiert: Die Menschen in der Nachbarschaft sammeln Geld und treffen sich an einem bestimmten Tag im Haus der größer gewordenen Familie. So besuchen auch wir Glory (auch so ein schöner Name!), um ihre Tochter Joy zu begrüßen.

Kamerun © ZEIT-Grafik

Der Tradition gemäß wurde von all dem gesammelten Geld Seife gekauft: 42 große Stücke kamen zusammen. Die Feier beginnt mit Gesang, den üblichen Liedern mit viel Händeklatschen, eins nach dem anderen. Dann eine Lesung aus der Bibel, eine kleine Predigt, ein paar Reden und ausgiebige Gebete im religiösen Teil. Anschließend tanzen alle im Wohnzimmer im Kreis und reichen das Baby reihum von der einen zum anderen weiter. Eine sehr schöne Sitte, das Kind in der Gemeinschaft willkommen zu heißen. Und natürlich wäre es keine afrikanische Party ohne Essen! Die Gäste lassen sich ein Schlückchen Wasser über die rechte Hand laufen, und dann werden fufucorn (ein Maisbrei), jamanjaman (ein einheimisches Blattgemüse) und Fisch aufgetischt, und wir verspeisen alles mit den Fingern. Zu trinken gibt es white mimbo, das ist Palmwein.

Seit fast zwei Jahren lebt Tabea Müller, 37, im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Hier erzählt sie jede Woche über den Alltag im Inneren Afrikas.

 

Hier ist Afrika (2)

Fahrt in den Norden. Und plötzlich hat das Auto ein Loch im Kühler. Das Wasser läuft unten heraus. Ein herbeigewinkter Tankwagenfahrer besieht sich das Problem und empfiehlt allen Ernstes, den Tabak einer ganzen Schachtel Zigaretten in den Kühler zu füllen, um damit das Loch zu stopfen. Eine interessante Reparaturvariante, die uns allerdings nicht sonderlich erfolgversprechend erscheint. Mein Kollege baut den Kühler aus und fährt mit einigen herbeigeeilten Männern aus dem Dorf in einem Buschtaxi acht Kilometer zum nächsten Mechaniker. Dieser hat natürlich kein Metall vorrätig, sondern schickt jemanden, Stahlwolle zu kaufen. Er schmilzt das Metallgewebe, das man hier zum Beispiel als Topfkratzer benutzt, ein, und weil die Menge nicht ausreicht, mischt er das Ganze mit Leim. Damit flickt er den kaputten Kühler. In tiefster Nacht schließlich rattern die Männer auf einem Motorrad zurück. Ein Nachbar bringt Wasser. Im Schein der Taschenlampe: Kühler einbauen. Wasser einfüllen. Motor anlassen. Wir verabschieden uns alle dankbar und glücklich. Doch die Temperatur steigt wieder an. Hat der Mechaniker vielleicht nur einen Teil des Lochs gestopft? Fluchen. Weiterfahren. Wir müssen vier große Flaschen kostbaren Mineralwassers nachfüllen. Unterwegs: liegen gebliebene Autos, unbeleuchtete Autos, dunkle Menschen auf der Straße, blendende Scheinwerfer, unsichtbare Schlaglöcher. Nach zwei Stunden sehen wir die Lichter von Garoua, überqueren den Fluss, checken im Hotel ein und sinken erschöpft ins Bett.

Seit fast zwei Jahren lebt Tabea Müller, 37, im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Hier erzählt sie jede Woche über den Alltag im Inneren Afrikas.

 

Hier ist Afrika

Ein Waldweg in Yokaduma, Kamerun © Brent Stirton/Getty Images

Übers Wetter zu schreiben ist ja eigentlich eine ganz billige Nummer. Aber: Fräulein Smilla kannte viele Arten von Schnee, und genauso fühle ich mich, wenn ich versuche, den Regen hier in Kamerun zu beschreiben. Für die deutsche Sprache müsste man neue Worte erfinden, um das wahre Wesen dieses Ereignisses zu erfassen. Letztlich kann man sich die tropische Regenzeit von Europa aus aber wohl genauso wenig vorstellen, wie eine Kamerunerin sich einen Begriff von zugefrorenen Flüssen und Seen machen kann. Der Regen tröpfelt, klimpert, rauscht, kracht, schüttet, fällt, prasselt, raschelt, knistert, pladdert, strömt, entlädt sich mit wuchtiger Gewalt. Wahnsinnsblitze zucken wild über den Himmel. Donner grollt mit Wucht herein wie ein böser, grimmiger Poltergeist in den gruseligsten Märchen. Damit nicht genug: natürliche Grasdächer sind hier längst aus der Mode gekommen und Dächern aus Blech gewichen, die bewirken, dass man bei Regen das eigene Wort im Haus nicht mehr versteht. Staubpisten werden zu Matschpisten mit unbestimmt tiefen Löchern, ausgespült oder weggespült, und man hat das Gefühl, sich in einem Flussbett zu bewegen statt auf einer Straße. Dann kommt die stechende Sonne, die auch schon das nächste Gewitter anheizt, und der Zauber beginnt von vorn.

Seit fast zwei Jahren lebt Tabea Müller, 37, im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Hier erzählt sie von jetzt an jede Woche über den Alltag im Inneren Afrikas.