Das kleine Küchenmesser – Holzgriff speckig, Klinge immer geschärft, unentbehrlich bei vielerlei Verrichtungen, vom Apfelschälen bis zum Bleistiftspitzen? Da sagt man bei uns im Rheinland Pittermesser – vermutlich ein Relikt aus der Franzosenzeit und Verballhornung des Wortes petit im Gegensatz zum großen Brotmesser.
Solch ein kleines Küchenmesser hatte meine Großmutter, die in Osthessen an der Werra lebte, stets in der Schürzentasche (Osthessisch: Kippe). Das Messer hieß Schnitzer oder Schnitzerchen und wurde im Garten wie auch im Stall und in der Küche für alle möglichen Arbeiten verwendet – nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge, aber sicher, ohne zwischendurch gesäubert zu werden! Ich kenne meine Großmutter nur so »bewaffnet«, und auch für mich ist das Schnitzerchen unentbehrlich (wenn auch stets frisch gespült).
Antwort auf den Beitrag von Frau Becker, die den Begriff für Westsachsen beansprucht, vom 3. Juni 2015:
Frau Becker vermutet Migrationshintergrund und hat damit vielleicht nicht ganz unrecht, allerdings in etwas anderer Weise! Meine Großmutter nämlich stammt aus einer Gegend, die Waldhessen heißt (aus einer Familie, die dort seit Menschengedenken Höfe und Mühlen besaß, also nicht erst kürzlich eingereist sein dürfte). Und obwohl die Gegend heute einen ziemlich verträumten Eindruck macht, erlebte sie (laut Internet) im Spätmittelalter eine wirtschaftliche Blüte. Diese verdankte sich der Lage an einer der wichtigsten Handelsstraßen, der »Langen Hessen«, die Frankfurt und mit Leipzig verband. So hat also die Bezeichnung »Schnitzerchen« vermutlich selbst Migrationshintergrund.
Als ich hier in ZEIT der Leser (Nr. 8/15, 12/15 und 14/15) all die – mir unbekannten – regionalen Ausdrücke für ein kleines Küchenmesser las, fiel mir plötzlich die Bezeichnung Flügschen ein (gesprochen: Flügs-chen). Dieser Begriff, der mir in meiner Jugend im Bergischen Land sehr geläufig war, galt ebenfalls dem kleinen Messer; mit ihm schälte Mutter Kartoffeln oder putzte Gemüse. Als Junge allerdings wusste man damit manch andere Dinge schnell, geschwind, rasch – eben flugs – zu erledigen.
In Österreich versteht man sich auch in verbaler Hinsicht stets auf einen wuchtigen Auftritt: Selbst der kleinste Beitrag der öffentlichen Hand wird zur »Subvention«. Viel sympathischer finde ich da den Schweizer Ausdruck Zustupf. Das klingt, als würde man ganz beiläufig jemanden anstupsen und ihm ohne ein großes Gewese ein kleines Geldgeschenk zustecken. »Oh!«, sagt der Beschenkte. Mehr Zustüpfe für die Unbezustupften!
Neulich wollte ich unsere rund hundert Jahre alte Standuhr zur Reparatur bringen, weil sie immer wieder stehen blieb. Vorher aber besprach ich die Anlieferung mit dem Uhrmacher, denn ich wollte ja nicht das fast zwei Meter hohe Gehäuse transportieren, sondern nur das Innenleben. Ich solle alles in eine Kiepe packen, meinte der Uhrmacher, und Gewichte sowie Pendel extra umwickeln und auch mitbringen. Dieses Wort hatte ich seit meiner Kindheit nicht mehr gehört. Es war mir aber vertraut sowohl als Wäschekiepe als auch als Kartoffelkiepe: Als Schulkinder mussten wir auf dem Acker der Bauern die Kartoffeln nachlesen. Sie kamen in einen Korb, der dann wiederum in besagte Kiepe entleert wurde. Die Teile meiner Standuhr transportierte ich dann in einem Wäschekorb.
Als Kind in Berlin aufgewachsen, hörte ich von meiner Mutter und Großmutter häufig die Äußerung: »Die wohnt ja JOTT-WEDE!« oder »Der is nach Jottwede jezogen.« Dann wusste man, dass weitere Besuche nicht mehr infrage kamen, denn wer wollte schon lange, beschwerliche Anfahrten in Kauf nehmen, um Verwandte oder Bekannte irgendwo im Umland zu besuchen? Das Wort klang für mich aber auch etwas feierlich und exotisch: vorn »Jott« – berlinisch für »Gott« – und am Ende das »e« betont, also mit einem Hauch von feinem Französisch. Viel später habe ich erfahren, dass »jwd« die Abkürzung des Berliner Ausdrucks »janz weit draußen« ist.
In der ZEIT vom 26. März 2015 gab es einen Wort-Schatz-Beitrag zum Thema Fisimatenten, in dem auch eine Vermutung über den Ursprung des Wortes geäußert wurde. Dazu folgender Text aus dem Buch Alles außer Hochdeutsch des Germanistikprofessors Karl-Heinz Göttert: »Ins Reich der Legende gehört allerdings die Ableitung von Fisematenten aus dem angeblichen Anbaggerwortschatz französischer Soldaten (visite ma tente, »besuche mein Zelt«), wo in Wirklichkeit die lateinsprachlichen visae patentes im Sinne von schriftlich ausgefertigten Patenten zugrunde liegen. Der Fachbegriff ist also zum Spottnamen für bürokratische Schwierigkeiten geworden: Maach nit lang Fisematentcher un ess (»und iss«), sagt die Frau des Hauses zu ihrem Mann, der skeptisch auf den Teller schaut.«
Meine Großmutter, innerlich wie äußerlich eine feine Dame und Tochter eines Zechenbeamten aus Ickern, konnte nach dem Genuss von zwei Gläschen Sekt auch anders: Dann hieß es Wullacken, wenn von schwerer körperlicher Arbeit die Rede war. Außerdem verkröpten sich die Bergarbeiter, sie verletzten sich nicht.
Susanne Grobe-Engl, Kiebitzreihe, Schleswig-Holstein
Wenn ich Besuchern aus dem Norden erklären soll, welches Wort die schwäbische Lebensart am besten ausdrückt, fällt mir das Wort Hälinga ein. Schon die Aussprache dieses Wortes ist regional verschieden, und auch sein Sinn ist umstritten. In schwäbischen Wörterbüchern wird »hälinga« oft mit »heimlich« oder gar »hinterrücks« übersetzt. Das trifft es aber nicht unbedingt. Für mich klingt es irgendwie knitzer, freundlicher, schlauer, nicht so boshaft oder gar heimtückisch, sondern einfach ein bisschen cleverer. Wenn es etwa um den Geiz oder den Reichtum der Schwaben geht, sage ich gerne: Der Schwabe ist eben »hälinga« reich. Er lässt die Nachbarn ungern wissen, was er wirklich hat oder ist. Der Schwabe bleibt auf dem Boden. Der Schwabe hat in der Garage einen Mercedes und zum Einkaufen vor dem Haus einen Golf. No koin Neid!