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Was mein Leben reicher macht

Immer noch: Die Karte, die meine Tochter für mich unter den Weihnachtsbaum gestellt hat. Sie hat im vergangenen Juli mit 19 Jahren ihren Sohn Till geboren. Und schreibt: »Meine allerliebste Mama, ich danke Dir dafür, dass Du in diesem Jahr, dem schwersten und aufregendsten meines Lebens, hinter mir gestanden bist. Womöglich wäre ohne Dein festes Vertrauen darauf, dass alles gut wird, Till jetzt nicht bei uns.«

Petra van Oy, Heinersreuth bei Bayreuth

 

Was mein Leben reicher macht

Nach einem Schlaganfall vor sechseinhalb Jahren ist meine Mutter halbseitig gelähmt. Aber jeden Vormittag absolviert sie beim Fernsehen ihr Training mit dem Zimmerfahrrad. Sie ist 90 Jahre alt.

Astrid Pausz, Baden bei Wien

 

Was mein Leben reicher macht

Nach langer Stellensuche darf ich endlich wieder in einer kleinen Buchhandlung die Menschen mit schönen Büchern glücklich machen.

Katja Festerling, Halver, Nordrhein-Westfalen

 

Was mein Leben reicher macht

Meine Mitreisenden morgens in der S-Bahn. Beim Umsteigen etwa wartet oft mit mir zusammen eine Frau mit Rucksack, meist hat sie auch noch Tragetüten dabei. Sie trägt eine dicke Brille und immer Hut, sommers wie winters. Und sie liest viel, meistens englische Krimis im Original. Wo sie wohl hinfährt? Vielleicht ist sie Nanny einer englischen Familie? Oder führt sie einem älteren, ohne Zweifel distinguierten Herrn den Grunewalder Villenhaushalt?

Gabriele Zimmer, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Sechsjähriger, der mich vor Weihnachten fragt: »Mama, wie alt bist du?« Erwachsen und argwöhnisch frage ich zurück: »Warum willst du das wissen?« Seine Anwort: »Ich wollte nur wissen, wie viele Weihnachten du schon hattest.«

Birgit Setz, Mainz

 

Was mein Leben reicher macht

Mit der S-Bahn bin ich auf dem Weg in den Berliner Südosten. Irgendwann steigt eine junge Frau mit ihrer vielleicht zweijährigen Tochter ein und setzt sich in meine Nähe. Die Kleine kann kaum zwei Wörter aneinanderreihen, aber als ein alter Mann zusteigt, ruft sie zu ihm hinüber: »Hallo, Onkel, freier Platz!«, und zeigt auf den Platz neben sich. Leider hört es der Mann nicht. Wie gern wäre ich wie er gerade erst eingestiegen!

Anne Schäfer, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn im Winter die Saatkrähen als munterer Schwarm schräg über unser Haus zu ihrem Nachtquartier fliegen, nachmittags um vier, und sie im blassrosa Himmel langsam meinen Blicken entschwinden, dann beneide ich sie um ihr entferntes Ziel und ihre Gemeinschaft. Morgen warte ich wieder auf sie.

Elke Langmann, Augsburg

 

Was mein Leben reicher macht

Mittagspause in der Praxis. Kurz zum Essen nach Hause fahren mit dem neuen Auto. Tornadorot. Ein paar Hundert Meter vor der Haustür stehen Jan und Roman an der Straße, zwei Jungen aus der Nachbarschaft, zwölf Jahre, Klassenkameraden meiner Tochter. Also: rechts ran, Türen auf und rein mit den Jungs. »Geile Karre«, meint Jan. Danach männerübliches Schweigen. Erst fahre ich Jan bis direkt vor die Haustür, dann Roman. Er zögert kurz beim Öffnen der Tür und fragt dann: »Wollen wir nicht Du sagen?«

Matthias Warlich, Detmold