Die Sendung SWR 2 am Morgen. Noch im Dunkeln greife ich nach dem Radioknopf, und Wohlklang macht mich langsam wach. Ich glaube, dass ich Musik nie intensiver höre als in dieser Stunde, und die kurzen Wortbeiträge zwischen den Musikstücken geben dem erst halb wachen Hirn schon mal was zu denken.
Außer im Hochsommer trug meine Großmutter über ihren Kleidern immer eine kleine schwarze Wollweste mit zierlichen Knöpfen. Sie fror leicht im Rücken und nannte das Kleidungsstück »meinen Seelenwärmer«. Ich fand das eine schöne, anheimelnde Bezeichnung. Und da ich auch oft im Rücken friere, habe ich diesen Usus übernommen und mir eine Kollektion von Westen für alle Jahreszeiten zugelegt, die ich gerne trage und die mir Seelenwärme geben.
Wenn das Flugzeug startet, sitze ich immer in Angst erstarrt, Schwitzehändchen inbegriffen. Neulich beim Abheben nimmt mein fremder Sitznachbar spontan meine Hand und hält sie fest, bis wir oben sind. Wir haben nicht gesprochen.
Draußen Silvesterknaller, drinnen auf dem alten Plattenspieler Songs from a Room von Leonhard Cohen. Im Glas ein wunderbarer Sagrantino aus Umbrien. 2012 kann kommen!
Die Amsel, die seit vier Wintern auf meinem Balkon Futter sucht, ist wieder da. Ich erkenne sie an einer weißen Feder auf jedem Flügel. Wie schön, dass sie ein weiteres Jahr überlebt hat!
Meine Oma ist 97 und erfreut sich bester Gesundheit. Nur die Ohren und das Gedächtnis! Zu Weihnachten hole ich sie zu uns nach Hause und helfe ihr in den Mantel. Das sei ganz sicher nicht ihr Mantel, sagt sie. »Doch Omi, ganz bestimmt!« Sie schüttelt den Kopf, zieht den Mantel trotzdem an und sagt im Hinausgehen: »Du bist zwar ein Schatz, aber recht hast du trotzdem nicht!«
Während Viertklässler versuchen, eine alte Zeitung aus dem Jahre 1916 im Original zu entschlüsseln, bittet mich ein Erstklässler darum, diese Zeitung hinterher geschenkt zu kriegen. Auf meine Frage, ob er denn schon lesen könne, antwortet er: »Noch nicht. Aber bald.«
Neulich vor einem Möbelhaus. Ich habe mir ein Auto mit Hybridantrieb ausgeliehen, um die notwendigen und die überflüssigen Dinge nach Hause zu fahren. Als ich ausparke, versuchen neben mir ein Mann und seine Frau die viel zu langen Regalteile in ihr kleines Auto zu wuchten. Und als ich mit dem Wagen lautlos wie ein Fisch aus der Parklücke gleite, lassen sie alles liegen und stehen. Ich sehe sie im Rückspiegel mit großen Augen fassungslos hinter mir herblicken, als würde ich in einem Raumschiff sitzen. Da spüre ich das Glück in mir, den beiden das Wunder der Stille geschenkt zu haben.
Wenn ich meinen 15-jährigen, stark pubertierenden Sohn sehe, wie er seiner zweijährigen Cousine Marmeladenbrote streicht und sie gemeinsam mit ihr verzehrt. Er ist doch auf einem guten Weg, denke ich dann.