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Was mein Leben reicher macht

Nach 21 Ehejahren wurden wir ausgetauscht. Ich, 42, Niklas, 19, Lydia, 17, Henning, 11 – gegen Claudia, 30, Katharina, 8, und Laura, 5. Ich hatte allen Ernstes geglaubt, uns könnte es niemals so ergehen. Nun muss ich mich neu sortieren. Alleine Holz für den Ofen besorgen, den Wasserhahn reparieren und Stelzen bauen. Es ist zum Heulen. Die erste Urlaubsfahrt allein mit Henning geht in den Bayerischen Wald. Wir stoppen an der Walhalla, dort wollte ich schon immer mal hin. Strahlende Sonne, nettes Personal. Und viele starke Vorbilder mit unendlichen Lebensgeschichten. Eine Gewissheit entsteht: Wir schaffen es!

Christa Will, Lahn

 

Was mein Leben reicher macht

Wildbärtige Männer in Lederjacken, distinguierte Akademiker(innen), weiß bezopfte Omas wie aus dem Bilderbuch, Mamutschkas und Mamans, Russen, Polen, Palästinenser, Kurden, Türken, Syrer, Kameruner, Deutsche – beim Laternenbasteln um 12 Uhr mittags. Ich liebe meinen Stadtteil Bochum-Querenburg!

Gudrun Schäfer, Bochum

 

Was mein Leben reicher macht

Aus beruflichen Gründen nehme ich Abschied von meinem Chor. Nach Sekt und Selters wird mir mein Wunsch erfüllt: Wir singen In this Heart von Sinéad O’Connor. Mein Lieblingslied. Mehr, als ich zeige, bin ich gerührt. Danke, Vocapella!

Stephan Rehberg, Eutin

 

Was mein Leben reicher macht

Morgens auf dem Weg ins Büro spontan zum Hafen abbiegen, die Sonne aufgehen sehen und die Wanten an die Masten der Segelboote schlagen hören. Der Ruf der Möwen weckt für einen kurzen Moment die Sehnsucht nach der unbekannten Ferne in mir und lässt den Alltag in der Hosentasche verschwinden.

Tobias Scharnweber, Greifswald

 

Was mein Leben reicher macht

Im Baumarkt, es ist Oktober. Die Mitarbeiter bauen die Tische für die Weihnachtsartikel auf: Christbaumkugeln, Lichterketten, grüne Kunststoffbäumchen, Engel aus Holz. Ich mache eine Bemerkung zum weihnachtlichen Ambiente. Ein älterer Baumarkt-Mitarbeiter schaut uns daraufhin finster an. Als wir ums nächste Regal biegen, kommt er uns jedoch  freudestrahlend entgegen und bedankt sich für die Bemerkung. Und dann sagt er ein Weihnachtsgedicht auf. Und freut sich. Das hatten wir zwischen Holzlatten, Tapetenkleister und Zementsäcken nicht erwartet.

Reiner Lochmann, Kornwestheim

 

Was mein Leben reicher macht

Die Poesie des Alltags. Wenn mein kleiner Sohn, nach seinem Berufswunsch gefragt, versonnen aus dem Fenster schaut und antwortet: »Ich glaube ich werde Losverkäufer. Sorglosverkäufer.« Ich stelle mich schon mal an.

Susanne Riedel, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

In meinem Garten Äpfel sammeln und dabei so richtig kräftig am Baum rütteln. Die Ernte in den Fahrradkorb und in den Rucksack verladen. Beim Tritt in die Pedale den halben Zentner Zusatzgewicht spüren. In der Kelterei angekommen alles wiegen, die Äpfel in eine Art Auffangbecken kippen und dabei das spezifische Geräusch klackender Äpfel zu hören, die auf einem Förderband zur Weiterverarbeitung abtransportiert werden. Das hat was! Auf den Hof der Kelterei fährt ein Auto mit einem großen Anhänger voll Äpfel – und auf den Äpfeln lagen zwei lachende Kinder. Noch mehr Lebensfreude. Schön!

Ralph Schneider, Ulm

 

Was mein Leben reicher macht

Vor sieben Jahren starb mein Vater, plötzlich und viel zu früh. Seitdem erlebten wir vier Kinder unsere Mutter als fassungslos Trauernde. Sie, die in unserer Familie stets für Contenance stand, war außer sich vor Kummer. Vor drei Monaten ist ein neuer Mann in ihr Leben getreten. Er war klug genug, nichts zu übereilen, und hartnäckig genug, die Trauerschichten, die diese ungewöhnliche Frau umgaben, so lange zu erweichen, bis etwas Verschüttetes wieder zum Vorschein kam. Wir wissen nicht, wer nun glücklicher ist: sie, die frisch Verliebte, oder wir Kinder, wenn wir ihr helles, übermütiges Lachen wieder hören.

Petra van Laak, Potsdam

 

Was mein Leben reicher macht

Endlich ist die Ruppelstrecke, auf der ich bis vor kurzem über tausend Schlaglöchern zum nächsten Dorf fuhr, repariert. Auf der frischgeteerten Straße surrt mein Autochen dahin wie auf einem dunklen Seidenband.

Sibylle Korber, Odenthal