Einmal im Jahr wird Baden-Baden, dieser Ort der Ruhe, der Schönheit und der kurenden Menschen, so richtig wach: im Oktober, wenn der kleine Blues-Club seine Saison eröffnet. Dann gehe ich am Wochenende in die Kneipe und höre Musik, laut und gut. Die Musik bleibt in meinem Ohr, und der Montag danach ist immer schöner als sonst. Selbst im Büro.
Im vorigen Jahr machte meine Tochter ihr Soziales Jahr in einer Waldorfeinrichtung für behinderte Kinder in England. Dort lernte sie einen jungen Brasilianer kennen, der sie im Sommer nach Deutschland begleitete. Beide nur englisch miteinander redend, strahlend, glücklich. Im Herbst begann meine Tochter ihr Studium in Stuttgart, er wollte nicht mehr zurück und begleitete sie. Nun fingen die Schwierigkeiten an, Behördengänge, Wohnungssuche, Arbeitssuche, das volle Programm des Erwachsenwerdens. Am Wochenende habe ich sie in ihrem möbelierten Zimmer besucht. Er, stolz auf sein erstes verdientes Geld in Deutschland und seine paar Brocken Schwäbisch, sie mit ihrem ersten selbst gebackenen Kuchen. Beide noch immer strahlend und glücklich. Wir haben seinen 21. Geburtstag gefeiert.
Seit 24 Jahren eine kleine Schwester zu haben. Ein einzigartiges Gefühl, diese Geschwisterliebe: hingebungsvoll, einnehmend, bedingungslos und über jede Distanz erhaben.
Bahnfahrt von Nürnberg nach Hamburg, Chaos durch Verspätungen. Hektisches Handy-Telefonieren ringsum und schimpfende Fahrgäste. Ich habe kein Handy dabei und frage eine Frau, ob ich ihres benutzen dürfe. Selbstverständlich. Doch es geht niemand dran. Ich gebe der Frau das Handy zurück. Wenige Minuten später bringt sie es mir wieder und sagt: „Jetzt hat’s geklappt!“ Sie hat die Wahlwiederholungstaste gedrückt. Anschließend telefoniert sie auf Serbokroatisch mit ihren Leuten. Geld will sie nicht annehmen: „Man hilft sich gegenseitig!“
Vier Jahre lang haben wir auf zwei uralten Anrufbeantwortern die Anrufe des damals achtährigen, aus Russland kommenden Enkelkindes gespeichert: Die ersten deutschen Sätze, die Freude an Päckchen, über Osterhasen, Nikolaus und Schnee und das Meer. Oft gehört, inzwischen auch miteinander, wenn die Enkelin aus Berlin zu Besuch kam. Sie sollte diese Anrufe zu ihrem 18.Geburtstag bekommen. Bei dem Versuch, die Aufnahmen anders zu speichern, löschte sich alles. Was diese verlorenen Worte, die Jauchzer und manchmal auch die Tränen auf den AB’s für uns bedeutet haben, wissen wir erst jetzt.
Meine 12-jährige Tochter: Sie liest beim Frühstück einen 8-zeiligen gereimten Werbetext des begnadeten Zeichners Manfred Deix und sagt ihn sofort anschließend auswendig auf. Ich sage ihr schmunzelnd, sie solle lieber das Lied von der Glocke lernen. Wie aus der Pistole geschossen kommt die Antwort: „Jingle bells, jingle bells“. Ich liebe diese Art von Schlagfertigkeit.
Die Gesichtszüge meiner Mutter waren sehr ruhig geworden nach fast 88 Lebensjahren, nach jahrelanger Alzheimer-Demenz und jahrzehntelanger Depression. Wenn ich sie besuchte, war sie still, ihr Blick in die Ferne gerichtet. Ihre Hand in der meinen verlor täglich an Kraft. Doch auf einmal strahlte sie mich wieder an wie früher. Fünf Tage später wachte sie nicht mehr auf. Ihr Strahlen bleibt.
Ein sonniger Nachmittag im Herbst. Tobias (7) und Mathis (5) wollen unbedingt mit Opa (72) Fußball spielen. Wir gehen auf einen kleinen Platz bei der Schule. Die Jungen spielen sich den Ball zu und Opa soll sie dabei stören. Bald kommt noch ein anderer Junge dazu. Jedesmal wenn ein Spielzug geglückt ist und ein Tor fällt, jubeln drei helle Stimmen. Nach 90 Minuten sind trotz einiger Pausen alle geschafft – Opa am meisten. Zuhause erzählen die Jungen begeistert und stolz wie viele Tore sie geschossen und wie sie den Opa „ausgetrickst“ haben.