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Rückkehr der Mauersegler

Ich sitze am Schreibtisch und lerne Biochemie. Plötzlich höre ich vor dem Fenster dieses „Sriii, sriiii“. Die Mauersegler sind wieder da! Letztes Jahr um diese Zeit haben mein Freund Micha und ich den kleinen Paul – ein Mauerseglerkind – mit Maden und Heimchen gefüttert, um ihn für den Flug zurück nach Afrika vorzubereiten. Er hat fliegen gelernt und ist nun zurück. Ich renne ans Dachfenster und beobachte diese schönen Geschöpfe beim Fliegen. Kann man schöner vom Lernen abgelenkt werden?

Esther Beier, Bonn

 

Spätes Lob

Beim Bäcker, Samstag in aller Frühe. Ich stehe um Semmeln und Brezen an. Da spricht mich ein etwas korpulenter Mittvierziger an: „Sind Sie Herr Fischer?“ Ich bejahe. „Ich war mal Schüler bei Ihnen“, sagt er, als er meinen fragenden
Blick sieht, „ich bin damals gern in die Schule gegangen. Sie waren ein super Lehrer.“ Ich weiß nicht, ob ich rot geworden bin. Es war die schönste „dienstliche Beurteilung“ meiner gesamten Zeit als ehemaliger Sonderschullehrer.

Roland Fischer, Königsbrunn

 

Tagträume der Oma

Meine erwachsenen Töchter besuchen ihre 86-jährige Oma. Seit sie aus dem Krankenhaus wieder zu Hause ist, wird sie immer weniger. Sie ist aber bei klarem Verstand, und manchmal blitzt noch der alte Schalk aus ihren Augen. Als die Oma auf dem Sofa eingenickt ist, spielen meine Töchter Stadt, Land, Fluss. Plötzlich die Oma mit klarer Stimme: „Ach, ich würde jetzt gern alle Viere lang machen und in der Wiese ein Sonnenbad nehmen.“ Solange die Oma noch so schöne Träume hat, sind wir alle beruhigt. Möge ihr letzter Traum auch sonnendurchflutet sein!

Victorine Jeanty, Schnellmannskreuth, Bayern

 

Ins Herz getroffen

Seit einem Jahr bin ich mit einem Indien-Programm unterwegs: Ich lese Gedichte, singe Lieder und zeige Indien-Bilder. Nach einer Lesung in Düsseldorf kam eine ältere Dame zu mir und sagte: „Herr Thielemann, Sie haben mich getroffen.“ Kurz nach dem Auftritt bin ich ziemlich durch den Wind und fragte: „Wo denn? Ich kann mich gar nicht erinnern.“ Worauf sie wild gestikulierend auf ihr Herz schlug und rief: „Hier!“

Rainer Thielemann, Halfing

 

Geheime Freunde: Phänomenales Theater

Geheime Freunde – ich kannte das Stück nicht, das ich mir im Theater anschauen wollte, ich hatte keine Erwartungen. Und dann geschah ein kleines Wunder. Es geht um die Geschichte von zwei jüdischen Kindern, deren Wege sich in New York kreuzen. Naomi ist aus Frankreich geflohen und traumatisiert: Ihr Vater wurde von der Gestapo ermordet. Alan soll sich um das Mädchen kümmern, obwohl er dazu erst gar keine Lust hat. Doch langsam fasst er Zuneigung zu dem Mädchen, und dieses kann sich dank seiner Hilfe mehr und mehr aus seiner Isolation befreien. Das alles wird ganz leicht und unglaublich spannend erzählt – so sensibel und berührend, wie ich Theater noch nie erlebt habe. Die beiden Kinder in den Hauptrollen waren phänomenal. Ich habe gelacht und geweint, hinterher stundenlang darüber gesprochen – und seitdem jeden Tag daran gedacht.

Monika Weber, Bonn
Geheime Freunde läuft im Jungen Theater Bonn

 

Sommerglück

Sommerduft, frühmorgens, dieses Gemisch aus vielerlei Gerüchen: frisch gemähtes Gras, Rosen, Jasmin. Von weit her weht der Duft der Robinien und des blühenden Rapsfeldes, selbst die Sonne scheint einen ganz besonderen Geruch zu haben. Noch einen Blick in meinen kleinen Garten: Sommerglück.

Norga Heinemann, Völklingen

 

Glücklich mit pinkem Chihuahua

Wir waren zu einem langweiligen Sommerfest eingeladen, wo es auch die übliche Tombola gab mit den bekannten Preisen, die eigendlich niemand haben will. Und wie es der Zufall will, fiel unser Los auf so eine kleine Scheusslichkeit: ein pinkes Chihuahua-Stoffhündchen, gekleidet in ein pinkes Pallettenjäckchen mit Perlenkettchen.
Ich wollte erst gar nicht auf die Bühne um es abzuholen, so schrecklich fand ich es. Auf dem Weg zurück kam jedoch ein kleines Mädchen auf mich zu und frug: „Darf ich es mal streicheln?“ Mein Freund sagte sofort: „Du darfst es sogar behalten!“ Mit ungläubig großen Augen nahm es vorsichtig das pinke Hündchen. Von da an konnten wir das glücklichste Mädchen der Feier beobachten, den pinken Chihuahua schmusend an sich gedrückt. Wir hatten also doch den Hauptpreis gezogen!

Hans-Georg Berndsen, Aachen

 

Brüder Löwenherz

Zum zweiten Mal Die Brüder Löwenherz lesen, nun mit der fünfjährigen Tochter. Und genau wie früher, mit dem Sohn, erleben, wie uns die Geschichte völlig einnimmt, fesselt, begeistert … Sogar der inzwischen pubertierende und ach so erwachsene Dreizehnjährige fläzt sich zu uns aufs Sofa und kann sich der Spannung und Schönheit dieses Textes nicht entziehen. Danke, Astrid Lindgren!

Anja Hanisch, Blaufelden
Die Bücher von Astrid Lindgren sind bei Oetinger erschienen

 

Spurwechsel geglückt

An der Supermarktkasse: Ich stehe in einer sehr langen Schlange. Als eine zweite Kasse geöffnet wird, wechsle ich dorthin. Aber fast alle überholen mich dabei, auch Leute, die zuerst hinter mir standen. Unvermittelt dreht sich eine junge Frau um. Ob ich nicht vorgehen wolle, fragt sie mich, schließlich habe ich eben noch vor ihr in der Schlange gestanden. Dankend lehne ich ab, versöhnt mit all den dreisten Überholern. „Versuche, dich nicht von irgendeiner Eile treiben zu lassen“, denke ich mir. Und: „So ist sie eben auch, ‚diese Jugend‘.“

Sonja Then, Wenzenbach bei Regensburg

 

Drei Mal Sonne im Leben

Drei Nachbarinnen, alle weit über 70 Jahre alt, verstehen es auf wunderbare Weise, Licht in meinen Alltag zu bringen. Die erste leidet – laut Arzt – an Demenz: Sie sorgt für manche Überraschung, doch ihre gute Laune und ihr Lachen bringen Sonne in jeden noch so grauen Tag. Die zweite ist quirlig wie ein junges Mädchen und verbreitet einen unschlagbaren, realistischen Optimismus: „Ich habe noch so viele Tomatensamen. Da kann ich nächstes Jahr noch einmal säen – wenn ich noch lebe.“ Und die dritte im Bunde wird beim Geraniengießen philosophisch: „Es ist doch jedes Jahr wieder schön, das Wunder der Natur zu erleben, wenn die Schwalben den weiten Weg aus Afrika zu uns kommen.“ Sanfte Waffen alter Frauen gegen die überzogenen Erwartungen der nachkommenden Generation.

Susanne de la Fuente, Obernbreit