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Was mein Leben reicher macht

Mein 14-jähriger Nachhilfeschüler will den tieferen Sinn von Goethes Wandrers Nachtlied einfach nicht verstehen. Lyrik und besonders Goethe findet er eigentlich voll doof.

Doch plötzlich der Aha-Moment, er sieht die tragische Liebesgeschichte hinter dem Gedicht, seine Augen leuchten, und er sagt: »Alter, Goethe ist ja voll der Emo!« Erst will ich ihn rügen, doch dann erkenne ich, dass er mit seiner Sprache ins Schwarze getroffen hat: Ja, Goethe ist ein Emo.

Sabrina Pöhlmann, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

Ich steige aus dem Skilift und falle – nur 15 Meter weiter – in eine Kuhle. Das Aufstehen ist mühsam, und ich schimpfe: »Muss mir altem Esel immer so was Dummes passieren!« Schaut ein junger Mann (etwa ein Drittel meines Alters) in meine Richtung und sagt: »Aber ich bin doch im Weg gestanden!« Den Rest des Tages bin ich viel besser Ski gefahren.

Otto Albrecht, Atsugi, Japan

 

Was mein Leben reicher macht

Die erste Ballettaufführung unserer nun vierjährigen Tochter. Es ist so schön, zu sehen, wie sie die (noch sehr spielerischen) Übungen und Tänze meistert. Kaum mehr vorstellbar, dass sie als Frühchen in den ersten zwei Jahren ihres Lebens ständig Krankengymnastik machen und jeden neuen Schritt mühsam erlernen musste.

Markus v. Busse, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Ich, mollige Frau, muss vor dem Gotthard- Tunnel den Zug wechseln. Während ich noch nach einem Sitzplatz suche, durchfährt den Waggon ein gewaltiger Ruck. Ich verliere das Gleichgewicht und lande auf einem älteren, bereits sitzenden Fahrgast. Worauf dieser ebenso schlagfertig wie entzückt ruft: »Habe schon lange nichts mehr so Weiches gespürt!«

Renata Sigrist, Brunnen, Schweiz

 

Was mein Leben reicher macht

Redpearl (Spitzname der schönen rothaarigen Unbekannten – die mir nach anfänglichen Irrungen und Wirrungen inzwischen seit vier Jahren das Gefühl gibt, in einer harmonischen Beziehung angekommen zu sein).

Joachim Rothmund, Biberach

 

Was mein Leben reicher macht

Nach längerem beruflichem Aufenthalt in arabischen Ländern kehrt unsere Familie nach Bonn zurück. Meine siebenjährige Tochter tritt – ausgerüstet mit rot-weißem Kostüm, Dreispitz und Stiefelchen – einer örtlichen Tanzmariechen-Gruppe bei. Dann kommt der Tag, an dem die Eltern des Karnevalsnachwuchses in den Genuss der einstudierten Polka-, Hüpf- und Grätschschritte kommen sollen. Gespannt wartet das Publikum auf den Beginn des Spektakels, da eilt Dana noch mal zu uns und flüstert mit wissender Miene hinter vorgehaltenem Händchen: »Mama, Papa, das sind alles Muslims hier!« Wir erstaunt: »Wie das?« Dana: »Na ja, sie rufen immerzu ›Allah! Allah! Allah‹!«

Wolfgang Mälzer, Khartoum/Sudan

 

Was mein Leben reicher macht

Venedig, Insel Giudecca, das Klappern meines Rollkoffers in den verwinkelten Gassen auf der Suche nach der einzigen Pension in diesem Viertel. Dreimal öffnen sich mir Türen und Fenster, und die Bewohner weisen mir den Weg.

Jürgen Wienholz, Freiburg

 

Was mein Leben reicher macht

Alemannische Fastnacht, gruselige Hexenmasken beim Umzug. Meine Enkelin (zweieinhalb Jahre) versteckt ängtlich ihr Gesicht in meinem Arm, bis eine Hexenhand mit einem Tütchen Gummibärchen vor ihrer Nase auftaucht. Vorsichtig greift sie danach und streckt fortan erwartungsvoll ihr Händchen aus, wenn sich wieder eine Hexe auf dem Besen nähert.

Kerstin Cornelissen, Furtwangen, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Im Kaufhaustempel auf der Mariahilfer Straße. Ich bin unschlüssig, ob ich die nebelgraue, die mausgraubraune oder die pfützenwasserbeige Mütze kaufen soll, da tippt mir eine Dame auf die Schulter. Pardon, sie wolle sich nicht aufdrängen, aber sie sei der Meinung, zu meinen roten Haaren brauchte ich Farbe. Farbe! Orange, Blau, Grün – oder hier: »Setzen Sie mal diese gelbe Mütze auf.« Während wir uns durch die Mützen graben, stellt sich heraus, dass sie Stylistin eines bekannten Labels ein paar Straßen weiter ist. Und mit der gelben Mütze leuchte ich nun durch den Winter. Der ist ohnehin grau genug.

Karin Bischof, Wien